Markus SteinrisserKommentar
Formel 1 Ressort
Seit 2018 im F1-Team. Der Mann fürs Textliche. Nichts ist schöner als Action auf- und abseits der Strecke, fusioniert zum großen Feature.MEHR
Wir müssen zuerst die Rahmenbedingungen abstecken. Ich bin ein Fan von Daniel Ricciardo dem Charakter. Was er der Formel 1 gebracht hat. Und ich war ein Fan von Daniel Ricciardo dem Rennfahrer. War. Ich vermute, so geht es heute vielen F1-Fans. Das Comeback ist fehlgeschlagen, das lässt sich schwer verleugnen. Aber das war ein bizarres, und trauriges, Ende.
Ich hebe hervor: Ricciardo fuhr in Singapur seinen 257. Grand Prix. Nur neun der bislang 777 F1-Fahrer haben mehr Starts. Trotz einer Karriere in fast durchgehend unterlegenem Material hat er acht Siege, 32 Podien. Er war für Red Bull einer der Stars der F1-Show, als das Team sportlich gegen Mercedes nicht ankam. So ein Fahrer hat sich einen anständigen Abschied verdient. Emotionale Auslaufrunde, Wertschätzung der Fahrerkollegen, ein schönes Feature in der TV-Übertragung.
Daniel Ricciardos Formel-1-Abschied: Niemand will es aussprechen
Die Gerüchte um Ricciardos Ende machten bereits nach Baku im Formel-1-Fahrerlager die Runde. Sportlich war das verständlich: Vor etwas mehr als einem Jahr kam er bei den Racing Bulls mit dem erklärten Ziel zurück, sich für das Cockpit von Sergio Perez zu empfehlen. Erfolg kann man ihm dabei nicht nachsagen. Klar gab es Ausrufezeichen, Mexiko, Miami, Kanada, aber unter dem Strich war er um nichts besser als Yuki Tsunoda.
Eher war es Tsunoda, der gegen den Veteranen sich zunehmend profilierte. Red Bull dachte vor der Sommerpause darüber nach, trotzdem Ricciardo ins Auto zu setzen. Weil die Entwicklungslage kritisch war, gut, verständlich. Dass man trotzdem bei Sergio Perez blieb, der im (aktuellen) Team etabliert ist, ist auch verständlich. Ricciardo hatte schließlich keine Argumente geliefert, dass er klar besser sein würde.
Damit war jedem Realisten klar, dass Ricciardos Ende nahte. Nur wann den Schlussstrich setzen? Bald hatte jeder die Gerüchte gehört, aber niemand die Fakten vorliegen. War Singapur fix das letzte Rennen? Gab es danach ein Meeting? Natürlich kam es, wie es in der Formel 1 kommen muss – das Schiff schlug Leck. Vor Singapur wurde die Geschichte in die Öffentlichkeit gespült.
Ricciardo wurde schon am Donnerstag darauf angesprochen. Er war nicht der einzige. Keiner wollte oder konnte Klarheit schaffen. Eine bizarre Situation. Was soll die Formel 1 also am Sonntag machen? Ricciardo ehren, feiern und verabschieden oder nicht?
Deprimierendes Ende eines tollen Formel-1-Charakters
Ricciardo selbst erhielt vom Team nach einem deprimierenden Rennen die Chance zu seiner 17. und letzten schnellsten Rennrunde. Im Parc Ferme saß er lange im Auto. In den TV-Interviews überkamen ihn fast die Tränen. Danach war sich jeder sicher, dass Schluss sein musste. Obwohl auch am Sonntag das niemand aussprechen wollte. Alle mussten bis zum 26. September um 18:05 Uhr warten, ehe per Pressemitteilung wirklich Schluss war.
Ricciardo hat sich in seiner Karriere viel verdient. Aber was war das? Erst recht im Angesicht der Tatsache, dass das nicht mit seinem McLaren-Abschied vergleichbar ist. Wahrscheinlich wird er keinen F1-Vollzeitjob mehr bekommen. Und ja, ich habe auch Verständnis dafür, dass man Liam Lawson für 2025 evaluieren will. Musste man Lawson aber unbedingt genau jetzt, genau mit diesem Ablauf der Ereignisse für Austin ins Auto setzen? War es wirklich unmöglich, das Problem so zu lösen, dass es nicht wie eine Farce aussah?
Ricciardo ist einer der Charaktere der letzten zehn Jahre Formel 1. Das verlangt nach angemessenem Abschied. Stattdessen ist seine letzte F1-Handlung eine kontroverse schnellste Rennrunde, welche den WM-Gegner von Max Verstappen um einen Punkt brachte. Kommentiert von Teamchef Laurent Mekies: “Da es Daniels letztes Rennen gewesen sein könnte, wollten wir ihm die Chance geben, sich mit der schnellsten Runde zu verabschieden.” Gewesen sein könnte. Bizarr.
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