Riecht es hier nach kaltem Zigarrenqualm, oder vielmehr nach automobiler Geschichte? Wenn man das ehrwürdige Büro von Enzo Ferrari in Fiorano Modenese heutzutage betritt, könnte man fast meinen, dass ‘Il Commendatore’ soeben erst seine letzte Zigarre im gelben Aschenbecher mit dem Ferrari-Logo in der Mitte ausgedrückt hat. Dabei verstarb der legendäre Firmengründer am 14. August 1988 im Alter von 90 Jahren. Zu Ehren von Enzo Anselmo Giuseppe Maria Ferrari, wie er mit vollem Namen hieß, hat Ferrari seine damalige Walt- und Schaltzentrale auch fast 40 Jahre später praktisch kaum angerührt.

Motorsport-Magazin.com hatte die für Medienvertreter höchst seltene Gelegenheit, einen Blick in das einstige Büro des Ferrari-Gründers werfen zu dürfen. Noch heute umweht diesen Ort etwas Mystisches. Fotografieren ist streng verboten, und bis heute hat der italienische Autobauer kein einziges Pressefoto aus dem Inneren des einstigen Bauernhauses veröffentlicht. Das alte Büro des Signore Ferrari ist heute so etwas wie der Heilige Gral der Pista Fiorano, Ferraris privater Teststrecke für Renn- und Straßenwagen.

Ferrari präsentiert neues WEC-Auto 2025! (07:34 Min.)

Lewis Hamilton rückt Fiorano in Szene

Zu neuer Berühmtheit gelangte der dreistöckige Altbau mit seiner weißen Fassade und den knallroten Fensterläden, als Lewis Hamilton nach seinem Amtsantritt bei der Scuderia Ferrari vor dem Gebäude fotografiert wurde und sich unter Fans Spekulationen breitmachten, ob die sieben abgelichteten Fenster für Hamiltons sieben WM-Titel stehen und die Eingangstüre den Weg zu Titel Nummer acht symbolisieren könnte. So oder so war es eine geniale Inszenierung des amerikanischen Fotografen Andre D. Wagner, der schon Superstars wie Grammy-Gewinnerin Beyoncé Knowles-Carter oder den NBA-Spieler Steph Curry vor der Linse hatte.

Lewis Hamilton bei seinem Ferrari-Antrittsbesuch 2025 vor dem Haus von Enzo Ferrari und einem Ferrari F40 in Fiorano.
Sportfoto des Jahres? Lewis Hamilton bei seinem Amtsantritt in Fiorano, Foto: Scuderia Ferrari HP

Als wir an diesem 13. Februar direkt vor der Casa Ferrari stehen, wo wenige Wochen zuvor noch Hamilton posiert hatte, sind hier – an der ‘Piazza Michael Schumacher’ – jetzt zwei Ferrari 499P ausgestellt, mit denen die Italiener ihren dritten aufeinanderfolgenden Sieg bei den 24 Stunden von Le Mans einfahren wollen. Vorbei an den roten Prototypen, geht es rein in die halbrunde Eingangspforte, über der stolz eine Flagge mit dem vielleicht bekanntesten Wappentier der Welt, dem ‘Cavallino Rampante’ weht. Hausnummer 27, passend zur berühmten Startziffer des 1982 verstorbenen Gilles Villeneuve, der zu Enzo Ferraris Lieblingsfahrern zählte.

Durch einen kleinen, komplett in Rot ausstaffierten Vorraum geht es linkerhand rein in das Büro, in dem Enzo Ferrari zu Lebzeiten vermutlich mehr Zeit verbracht haben dürfte als bei seiner Familie. Der Hauptraum wirkt aus heutiger Betrachtung wie die Kulisse für einen Film über die 70er-Jahre, irgendwie irreal, aber auch heimelig und Ehrfurcht erregend zugleich.

Von Lauda bis Ickx: Fioranos berühmte Gäste

Der Blick wandert zuerst zu zwei schweren Ledersofas mit deutlichen Gebrauchsspuren, getrennt durch einen niedrigen Couchtisch mit großem Aschenbecher. Wer hier wohl alles seit der Streckeneröffnung im Jahr 1972 gesessen hat, um mit Enzo Ferrari über Motoren und Rundenzeiten zu diskutieren? Niki Lauda, Jacky Ickx, Mario Andretti, Jody Scheckter oder Michele Alboreto, die Liste der prominenten Hausgäste dürfte lang sein und sich wie das Who is Who des Motorsports lesen.

Dahinter ein offener Kamin mit Rußspuren, die auf eine rege Nutzung zumindest zu kalten Winterzeiten hindeuten. Darüber ein großes Schwarz-Weiß-Foto. Wir sind uns ehrlicherweise nicht sicher, aber es könnte den Start des Großen Preis von Spanien 1975 in Montjuic abbilden, in dem die Ferrari-Piloten Niki Lauda und Clay Regazzoni die erste Startreihe bildeten. Jenes Rennen, bei dem fünf Zuschauer nach einem Unfall von Rolf Stommelen ums Leben kamen.

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Die Casa Ferrari inmitten der Teststrecke von Fiorano nahe Maranello, Foto: imago/HJS

Welche Geheimnisse stecken in Ferraris Aufzeichnungen?

Links neben dem Kamin ein großes Holzregal, voll mit nach Jahreszahlen angeordneten Büchern. Die Reihe beginnt mit ’47, 48, 49′, fein säuberlich durchnummeriert bis in die heutige Zeit. Ein paar Veränderungen wurden in Ferraris Büro nach dessen Ableben doch vorgenommen. Hinter dieser schlicht gehaltenen Büchersammlung versteckt sich ein echtes Motorsport-Archiv, in das wir nur zu gerne einmal reingeschaut hätten. Natürlich auch verboten, nur gucken, nicht anfassen.

Die Jahresbücher sollen exakte Aufzeichnungen zu allen Formel-1-Rennen über die Jahrzehnte hinweg beinhalten, erzählt uns ein Ferrari-Insider. Wer aber glaubt, dort nur Rundenzeiten zu finden, der irrt gewaltig. Angeblich sind hier auch mitunter pikante Notizen über das Verhalten und den Auftritt eines Fahrers an einem Rennwochenende dokumentiert. So sei unter anderem die Liebesnacht eines namentlich nicht genannten Fahrers mit gleich fünf Frauen kurz vor einem Rennen notiert. Mamma mia!

Passend zu Niki Lauda, der Ferrari 1975 nach elf Jahren Durststrecke zur nächsten Formel-1-Weltmeisterschaft geführt hatte, entdecken wir auch ein Buch der österreichischen Reporter-Legende Heinz Prüller, der die F1-Annalen in seiner Reihe ‘Grand Prix Story’ schriftlich festgehalten hat. Dazu haufenweise Fotos früherer Ferrari-Fahrer an den Wänden, darunter von Sebastian Vettel und natürlich Ferraris Lichtgestalt Michael Schumacher, der während seiner schier unendlichen Testfahrten in Fiorano im oberen Teil des Hauses genächtigt hat. Das Modellauto eines seiner Weltmeister-Fahrzeuge hat nachträglich ebenso den Weg in Enzos Büro gefunden, dekoriert auf einem Sideboard direkt neben einer Kurbelwelle.

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Nachbau von Enzo Ferraris Büro im Museum von Maranello, Foto: IMAGO/Depositphotos

Enzo Ferraris Schaltzentrale: Ein Büro voller Kontraste

Das Kernstück des nur rund 5×3 Meter großen Büros bildet der schwere Holztisch am Ende des Raumes, hinter dem Enzo Ferrari damals in seinem dunklen Ledersessel Platz genommen hat. Drum herum drapiert ein paar einfache Bürostühle, auf denen der eine oder andere Besucher ganz schön ins Schwitzen geraten sein dürfte. ‘Il Commentadore’ galt als strenger Chef mit einem autoritären Führungsstil. Leidenschaftlich, aber knallhart zu seinen Mitarbeitern. Krasser könnte der Füllfederhalter mit violetter Tinte als Kontrast kaum sein, mit dem Ferrari häufig seine Unterschriften unter Verträge setzte.

Ebenso kontrastreich muss es gewirkt haben, wenn Enzo Ferrari, die Augen oft hinter einer pechschwarzen Sonnenbrille versteckt, in seinem Sessel einer auffällig gelben Fliesenwand im Rücken saß. Die Steinfliesen, vermutlich in ‘Giallo Modena’ gehalten, sind verziert mit dem Ferrari-Wappen. Ein blaues Telefon mit Drehwählscheibe und ein aus heutiger Sicht uralter Fernseher im Mikrowellenformat, auf dem Enzo wohl die Formel-1-Rennen verfolgte, nachdem er sich irgendwann die Streckenbesuche außerhalb von Italien sparte, runden den Arbeitsbereich ab.

Legendärer Firmengründer aus Italien: Enzo Ferrari, Foto: Ferrari
Legendärer Firmengründer aus Italien: Enzo Ferrari, Foto: Ferrari

Zumindest aus dem Büro hat man heute keinen direkten Blick mehr auf die knapp drei Kilometer lange Strecke, die einst als Alternative zum veralteten Autodromo di Modena errichtet worden war. Vor wenigen Jahren hat Ferrari direkt am Streckenrand eine schicke, lichtdurchflutete Hospitality für gut betuchte Kunden gebaut, um ein besonderes Vor-Ort-Erlebnis bieten zu können. Ein Blick in Enzos Büro ist aber nur den wenigsten vorbehalten.