Lando Norris mag am Freitag nach dem 2. Training der Formel 1 in Silverstone mit der Tagesbestzeit ins Bett gehen, aber es ist kein so ruhiger Schlaf für das McLaren-Lager wie an manchen anderen Wochenenden. Ferrari zeigt nämlich mit dem besten Freitag seit langem auf. Und bei genauerer Analyse der Daten wird klar: McLaren wird nicht nur von der Scuderia bedrängt. Auch von Max Verstappen.

Der Trainings-Freitag zum Großbritannien-GP zeigte an der Spitze in den Top-5 des Ergebnisses erst einmal ein Update-bereinigtes Bild. Ferrari hatte in Österreich einen neuen Unterboden gebracht, Red Bull seine Unterboden-Updates auf Österreich und Silverstone verteilt, und in Silverstone legte nun auch McLaren mit einem komplett neu gestalteten Hauptkörper nach. Alles zu den Updates gibt es hier:

Das ist grundsätzlich ein leichter Vorteil für Ferrari. Sie haben ein Wochenende mehr Daten von der Rennstrecke, wie sich die neuen Teile verhalten. Tatsächlich schien der SF-25 von FP1 an gut aussortiert, Lewis Hamilton holte die erste Bestzeit. Doch dass Charles Leclerc in FP2 bis auf 0,222 Sekunden an den jetzt schnelleren Lando Norris rankam, ist auch interessant. Ist der Ferrari doch eigentlich dafür bekannt, auf eine Runde zu schwächeln.

Lando Norris & Ferrari mit Blitz-Start bei Formel 1 in Silverstone

Hamilton lag 0,301 Sekunden zurück, landete vor dem viertplatzierten Oscar Piastri. Norris zeigt sich von der roten Gefahr gleich einmal alarmiert und macht sich am Abend daran, seine eigene Trainings-Bestzeit etwas zu entwerten: “Ich denke, wir haben ehrlich gesagt ein bisschen Arbeit vor uns. Es sah heute vielleicht etwas zu gut aus. Ferrari holt bis zum 3. Training stets auf, wie letztes Wochenende.” Obwohl der Norris- McLaren wie das am Freitag wohl am besten ausbalancierte Auto aussah.

Charles Leclerc war aber nicht weit dahinter. Er demonstrierte durch die legendären Highspeed-Passagen von Maggots, Becketts und Chapel spektakuläre Balance beim Einlenken. Dort nahm er Norris über zwei Zehntel ab. Für die Bestzeit reichte es aber nicht, weil der Ferrari seine durchaus bekannte Schwäche in langgezogenen langsamen Kurven zeigte. Durch die ersten Kurven und durch den Brooklands-Komplex verlor Leclerc viel zu viel, um letztendlich Norris zu gefährden. Hamilton beklagte 0,079 Sekunden dahinter liegend auf seiner besten Runde Verkehr in Luffield.

Es fällt bei den Ferraris auf, dass beide zweimal ansetzen mussten, weil der SF-25 auf dem ersten Versuch mit brandneuen Reifen im ersten Sektor sehr wackelig daherkam. Erst nach Kühlrunden und auf alten Reifen fuhren Leclerc und Hamilton ihre besten Zeiten. Das muss nichts bedeuten – aber der SF-25 ist leider auch bekannt dafür, dass er aus für das Team unerfindlichen Gründen auf neuen Soft-Reifen im Qualifying die Performance nicht abrufen kann.

Enges Longrun-Rennen in den Trainings von Silverstone

Leclerc zeigte sich nach dem Training auch mit dem Gefühl des Autos im Renn-Trimm zufriedener als im Shortrun. Im Longrun mischt er auf jeden Fall vorne mit. Aber er ist nicht der erste Mann. Norris ist vor ihm – und Max Verstappen. Der Red Bull war im Shortrun noch weit weg von der Norris-Bestzeit gewesen und hatte auf P5 fast eine halbe Sekunde auf Norris und drei Zehntel auf Leclerc verloren.

Die Longruns waren dieses Jahr in Silverstone viel beachtet, denn die Reifen sind 2025 eine Stufe weicher, um die Teams in Richtung zwei Stopps zu drängen. In der Vergangenheit wagte Pirelli das hier nicht, weil die Highspeed-Kurven besonders auf den linken Vorderreifen brutal einprügeln. Immer wieder kam es hier in der Vergangenheit deshalb zu Reifenschäden. Alle Teams bis auf Haas, Aston Martin und Williams sparten sich vorsorglich heute einmal beide Hard-Reifen für eine Medium-Hard-Hard-Zweistopp auf.

Nach dem ersten Blick meint Pirelli, dass man bei einer Einstopp Gefahr laufen könnte, den Vorderreifen bis auf die Karkasse herunterzufahren und so Reifenschäden zu provozieren. Die Belastung löst nämlich auf der Innenschulter des linken Vorderreifens lokalisiertes starkes Graining auf. Teilweise maßen die Pirelli-Techniker in dem Bereich beim weicheren Reifen rund um Runde 15 100 Prozent Abnutzung. Dann muss der Reifen nicht zwingend sofort langsamer werden, weil ohne Gummi natürlich kein Graining mehr da ist. Aber die Gefahr eines Schadens steigt schnell.

Weil das Graining so lokalisiert ist, beeinflusst es die Performance aber generell relativ wenig – der Großteil des Reifens bleibt ja unbeeindruckt. Aus der Spitzengruppe geriet nur Hamilton in signifikante Graining-Schieflage und musste seinen Medium-Longrun sogar frühzeitig abbrechen: “Aber wir wissen, was wir für die nächste Session umstellen müssen.”

Max Verstappen & Oscar Piastri in Silverstone mit Qualifying-Problemen

Bei Red Bull brauchte es bis zum Schluss, bis zu diesem starken Longrun, um die Stimmung zu heben. Die war davor recht weit unten gewesen. Eigentlich galt Silverstone mit den vom RB21 geliebten Highspeed-Kurven als Kandidat für eine Strecke, auf der Max Verstappen wieder vorne mitmischen könnte. Wie er das auch im Longrun tat, aber nicht im Qualifying-Trimm.

Max Verstappen im Red Bull
Der Red Bull ist in Silverstone schnell, aber nicht überall, Foto: Getty Images / Red Bull Content Pool

“Für mich persönlich war das ein ziemlich Schlechter Tag, ich hatte einfach keine Balance im Auto, und es war auch von Kurve zu Kurve schwierig”, ärgert sich Verstappen. Er fürchtet, dass sein Red Bull hier für den starken und vor allem böigen Wind sehr anfällig sein könnte. Das Problem ist allerdings nach dem ersten Blick auf die Daten auffällig spezifisch: Verstappen bekam die Vorderachse nicht in den Brooklands-Komplex hinein und musste dort massiv verzögern.

Das kostete ihm durch Brooklands und Luffield vier seiner fünf Zehntel. Sonst war er konkurrenzfähig. Die Gründe sind dem Team schleierhaft. Motorsport-Berater Dr. Helmut Marko zweifelt an der Wind-Theorie. Irgendetwas anderes muss dieses Untersteurern auslösen: “Wenn wir das wegbekämen, wäre es deutlich besser. Komischerweise hat es sich beim Reifenverschleiß nicht bemerkbar gemacht, wir hatten kein Graining.” Denn auch im Longrun war es präsent, obwohl Verstappen davor noch seinen Frontflügel hatte steiler stellen lassen.

An einem offensichtlicheren Fall von Untersteuern scheint indessen Oscar Piastri zu leiden. Sein McLaren schob über seine ganze Qualifying-Simulation hinweg sichtlich über die Vorderachse. Das dürfte eine einfachere Setup-Lösung ermöglichen: “Ich denke, das Potenzial ist definitiv da, und die Longruns sahen auch recht solide aus.” So schiebt sich das Bild vorne zusammen. Beide McLaren, beide Ferrari und Verstappen können sich bisweilen realistische Hoffnungen machen.

Kommt schlechtes Wetter in Silverstone? Mercedes kann nur hoffen

Am heißen Freitag bei 40 Grad Asphalttemperatur sind damit die Top-Teams abgehandelt. Mercedes bleibt ein Mysterium. In der Hitze verzweifelt man an den Hinterreifen und bekommt ihre Temperatur nicht und nicht nach unten. Aber heute war der heißeste Tag des Wochenendes. Regen ist an den nächsten beiden Tagen möglich, so oder so soll es kühler werden.

So absurd es daher nach der heutigen Leistung klingt – man darf Mercedes nicht abschreiben. Wenn es abkühlt und Graining plötzlich ein massiver Faktor im Rennen werden würde, so könnte Vorjahres-Polemann George Russell statt aus der zweiten Hälfte der Top-10 aus dem Siegeskampf grüßen. So extrem haben sich die Bedingungen in der Vergangenheit auf den Mercedes ausgewirkt.

Aber wenn dann Regen kommt – und in Silverstone ist das immer möglich -, dann ist der Inhalt dieser Analyse sowieso nachrangig. Ans Mittelfeld wagen wir uns erst gar nicht. Fahrer von Aston Martin, Williams, Sauber und den Racing Bulls lagen im Longrun innerhalb von zwei Zehntel. Wie immer werden hier Details die letzten Punkte entscheiden.