Markus Steinrisser
Formel 1 Ressort
Seit 2018 im F1-Team. Der Mann fürs Textliche. Nichts ist schöner als Action auf- und abseits der Strecke, fusioniert zum großen Feature.MEHR

Mit über zwei Zehntel Vorsprung fuhr Oscar Piastri für das Formel-1-Rennen in Barcelona auf die Pole. Teamkollege Lando Norris musste sich im Qualifying am Samstag doch deutlich geschlagen geben. Doch im Kampf um die Pole in Spanien hatte das McLaren-Duo eine, um Piastri zu zitieren, “freche” kleine Begegnung. Die Stallorder zwischen den beiden WM-Rivalen könnte auch im Rennen eine wichtige Rolle spielen.
Im Qualifying hatte Norris zu Beginn von Q3 opportunistisch versucht, Windschatten von Piastri abzugreifen – was der Australier erfolgreich unterbunden hatte. Letztendlich eine Mini-Episode ohne Folgen, die ersten Q3-Runden waren sowieso Muster ohne Wert. Die Episode zeigt aber vor allem eines: Die beiden Fahrer schenken sich nichts. Was gerade am Start in Spanien gefährlich sein kann.
Start-Gefahr für McLaren in Barcelona: Die Chance für Verstappen & Russell?
Bei anderen Teams ist man üblicherweise sogar empfänglich für die Idee, sich gegenseitig Windschatten zu spenden. Wenn aber beide Fahrer um einen WM-Titel kämpfen, ist dafür kein Platz. Hier gibt es aktuell nur eine “Teamorder”: Lasst euch Platz, fahrt euch nicht ins Auto. Nur in isolierten Rennsituationen würde das Team eingreifen. “Generell würden wir das gerne auch vermeiden, um ein Rennen zu kontrollieren”, unterstreicht Teamchef Andrea Stella.
Was uns zum Start in Barcelona bringt. Zum ersten Mal seit Australien stehen beide McLaren in der gleichen Startreihe. 613 Meter hat Oscar Piastri bis zur ersten Bremszone vor sich. Und eines ist klar: Wer als Führender aus dem ersten Sektor zurückkehrt, der hat bei einem in Sachen Reifenmanagement voraussichtlich schwierigen Rennen alle Trümpfe in der Hand. Er hat zum einen saubere Luft, zum anderen wird er als erstes Auto die bessere Strategie erhalten. Zwei Stopps werden erwartet, und ein früherer Stopp kann einen Vorteil von zwei Sekunden pro Runde bringen.
Niemand will also zweiter Mann in der Strategie-Gleichung sein. Barcelona ist am Start also prädestiniert für Ärger. Klar, das Schreckgespenst Team-Crash wollen wir jetzt nicht gleich an die Wand malen. Aber wenn beide damit beschäftigt sind, in der ersten Kurve eben nicht zu crashen und dem “McLaren-Weg” zu folgen, wie es Stella immer wieder nennt, kann das gerade in Barcelona Tür und Tor für die Konkurrenz öffnen.

George Russell zeigte es im Vorjahr. Als Norris und Max Verstappen in der ersten Kurve sich Platz ließen, hielt er von P4 kommend außen knallhart rein und übernahm die Führung. Weil die erste Kurve in Barcelona eine Schikane ist, wird die Außenbahn zur Innenbahn. Und weil der Weg dorthin so weit ist, haben die Fahrer in der zweiten Reihe – 2025 sind das Verstappen (P3) und Russell (P4) – richtig guten Windschatten, um so ein Manöver vorzubereiten und zu exekutieren.
Wie gut ist McLaren heute im Rennen wirklich?
Wenn ein Verstappen oder ein Russell die McLaren in der ersten Kurve abzieht, stellt sich nur die Frage: Kann man diese McLaren im Rennen überhaupt hinter sich halten? “Es wird nicht einfach nur darum gehen, den Start zu gewinnen und dann zu cruisen”, prognostizierte Pole-Mann Piastri nach dem Qualifying. “Es wird eine Herausforderung sein, die Reifen zu managen und die Stopps richtig zu setzen.”
Die Formel 1 steht für dieses Rennen vor einer strategisch recht schwierigen Lage. Pirelli hat die härteste Reifenpalette nach Barcelona gebracht. Doch der harte Reifen funktioniert bislang nicht. Er rutscht zu viel, ist pro Runde fast eine Sekunde langsamer als der Medium. Die Fahrer sind fast alle nun im gleichen Boot: Sie haben je einen Hard, einen Medium, und einen Haufen Soft. Das erzwingt de facto Soft-Medium-Soft als Strategie, da die Einstopp den Simulationen nach 15 Sekunden langsamer sein soll.
Zweimal Soft könnte aber grenzwertig sein. Am Freitag hatten viele starke Probleme mit Abbau auf der Vorderachse, da der linke Vorderreifen in den langgezogenen Kurven von Barcelona hart rangenommen wird. Das dürfte bei allen Gegensteuern per Setup erzwungen haben. Wer hier der Beste war, ist schwer zu sagen. Allerdings wird nicht erwartet, dass mehr als 20 Runden mit dem Soft möglich sein werden.
Wer schon im ersten Stint in Schieflage gerät und früh stoppen muss, dem droht, dass er zum schlechten Hard greifen muss. Der bekanntlich verschleißarme McLaren fühlt sich gut aufgestellt. “Wir hoffen, dass unsere Fähigkeit, die Hinterreifen zu kontrollieren, sich morgen auszahlt”, meint Andrea Stella. Dieser Luxus ermöglicht es dem Team, mehr Setup-Ressourcen in die Vorderreifen zu investieren.
Was können Max Verstappen und George Russell in Barcelona tun?
Der härteste McLaren-Gegner im Renn-Trimm bleibt in Barcelona Verstappen. George Russell enttäuschte am Freitag im Renn-Trimm: “Gut zu sehen, dass unsere Änderungen die Qualifying-Pace nicht behindert haben. Aber das könnte heißen, dass es die Renn-Pace nicht verbessert hat.” Mercedes hat dieses Wochenende immerhin technisch einiges adaptiert, um zur Form von vor einigen Rennen zurückzufinden. Mehr dazu hier:
Anders als Russell war Verstappen schon am Freitag im Renn-Trimm ähnlich schnell wie McLaren. Dem Fahrer kommen nach dem Qualifying nur Zweifel: “Wenn ich mir die Pace anschaue, wird es hart.” Motorsport-Berater Dr. Helmut Marko ist da optimistischer: “Auf dem Medium sind wir richtig wettbewerbsfähig und die Longruns waren gut.” Nur wird man nur einen der drei Stints im Rennen auf dem Medium fahren.
Das Problem des Red Bull: Er mag zwar schnelle Kurven, deshalb hat Verstappen bei mehreren Rennen um den Sieg gekämpft. Aber wenn die Kurven langgezogen sind, scheint der Vorteil sich zu reduzieren.
Wildcard Ferrari: Wieder zu weit hinten für ein gutes Rennen?
Ein schwer zu beurteilender Faktor in der Gleichung ist in Barcelona wieder Ferrari. Charles Leclerc schrieb seine Reifen-Strategie am Samstagmorgen selbst um und entschied sich als einziger Fahrer der Spitzengruppe, zwei Sätze Medium zu sparen. Er kann damit die flexiblere Soft-Medium-Medium-Strategie fahren. Doch das hat sich Leclerc recht teuer erkauft.
Zum einen haben die Top-4 alle noch einen neuen Soft für den Start. Leclerc hat nur noch gebrauchte Soft übrig. Zum anderen startet Leclerc nur von P7, weil ihm im Qualifying schon die Reifen ausgingen. Lewis Hamilton steht immerhin auf P5, hat aber die Standard-Strategie mit nur einem Medium gewählt. Die Ferrari-Rennpace sah am Freitag besser aus als Mercedes, nicht aber als Verstappen. Es erscheint zweifelhaft, dass Hamilton und Leclerc mit ihrem Grid-Defizit den Red Bull ernsthaft gefährden können.
Bleibt noch ein Blick auf die neuen Regeln für verschärfte Tests der Biegsamkeit der Frontflügel, die seit Barcelona gelten. Im Qualifying haben sie McLaren nicht eingebremst. Bekommt man aber im Rennen die Rechnung präsentiert, weil man die Auto-Balance nicht mehr so elegant ausgleichen kann? “Wenn ich mir die Zahlen anschaue, dann ist der Einfluss auf Reifenabbau und Rennpace zumindest bei McLaren praktisch Hintergrundrauschen”, hält Andrea Stella dagegen. Auch die Konkurrenz mag sich keine Hoffnungen machen.
Wer fehlt heute im Rennen? Lance Stroll. Der Aston-Martin-Pilot hadert seit Wochen mit Handschmerzen, jetzt wurden die zu viel. Am Samstagabend bestätigte das Team, dass Stroll zurückgezogen wurde. Mehr Infos gibt es hier:
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