Isabelle Grasser
Formel 1 Ressort
Isabelle ist Teil unserer Formel-1-Redaktion. Sie erhört aber auch die Rufe anderer Serien, zum Beispiel der F1 Academy.MEHR
Es sah aus, als wäre der entscheidende Sprung bereits gelungen. In der Saison 2023 zählte Aston Martin zweifellos zu den Top-Teams der Formel 1. Wenn auch nur kurz. Die Entwicklung über den Winter war für die Mitstreiter beeindruckend und schockierend zugleich. In den ersten fünf Rennen der Saison stand Fernando Alonso gleich vier Mal auf dem Podium. Doch es war noch zu früh für den großen Durchbruch. Aston Martin baute noch 2023 stark ab. Jetzt ist das Team von Podien weit entfernt. Der Rennstall liegt derzeit auf dem fünften Platz in der Konstrukteurs-Weltmeisterschaft. Ist nur Mittelmaß statt Messlatte. Das entspricht nicht den Ansprüchen von Aston Martin und Team-Inhaber Lawrence Stroll. Das Ziel ist die F1-Spitze. Podien, Siege und Titel. Wie will der Rennstall das erreichen? Mit einer ausgiebigen Einkaufstour, natürlich.
Im September gelang Aston Martin der absolute Star-Transfer: Design-Genie Adrian Newey. Der Brite gilt als schlauster Kopf der Formel-1-Geschichte, was von zwölf Fahrer- und elf Konstrukteurs-Titeln untermauert wird. Zahlreiche Siegerautos stammen aus seiner Feder. Der letzte Geniestreich war der RB19, in dem Max Verstappen 2023 beinahe jedes Rennen der Saison gewann. Für Team-Inhaber Lawrence Stroll ist der gelungene Transfer nicht nur die “größte Geschichte, seit der Name Aston Martin in den Sport zurückgekehrt ist”, sondern auch ein Beweis für die WM-Ambitionen des Rennstalls.
Mit Adrian Newey an die Spitze: Aston Martin lässt keinen Stein auf dem anderen
Mit Newey möchte das Team ein neues Kapitel schreiben. Eines, in dem Erfolg großgeschrieben wird. Ab März 2025 wird das Design-Genie für Aston Martin arbeiten. Damit ist zwar Neweys Einfluss auf die Saison 2025 beschränkt, doch es bleibt noch etwas Zeit, um die Entwicklung des 2026er Autos wesentlich zu prägen. Fernando Alonso baut darauf, dass aus Neweys Feder das nächste titelfähige Auto entspringt, mit dem er die dritte WM für sich entscheiden kann. “Aston Martin ist gewissermaßen das Team der Zukunft”, predigte der Spanier nach Bekanntgabe des Transfer-Coups.
Die Verpflichtung des Design-Genies war tatsächlich ein Geniestreich. Nachdem Newey im Mai nach fast 20 Jahren seinen Abschied von Red Bull verkündete, standen die Interessenten Schlange. Neben Aston Martin sollen auch Ferrari, Williams und Alpine ernsthaft versucht haben, Newey unter Vertrag zu nehmen. Warum traf der Technik-Guru schlussendlich seine Entscheidung zu Gunsten von Lawrence Strolls Mannschaft? Eine weitere Investition des kanadischen Multimilliardärs soll den Ausschlag gegeben haben.
“Als er sah, was wir in Silverstone bauen […] hat er schnell verstanden, was wir erreichen wollen”, verriet Team-Inhaber Stroll im Rahmen der Transfer-News. Einen Steinwurf von der legendären britischen Rennstrecke entfernt, wurde für Aston Martin die erste komplett neue Formel-1-Fabrik seit 20 Jahren erbaut. Die alte Jordan-Fabrik wurde abgerissen, um Platz für die Moderne zu machen. Es entstand nicht eine Fabrik, sondern ein Campus, der sich über 37.000 Quadratmeter erstreckt. Über 700 Mitarbeiter sollen dort arbeiten und sich wohlfühlen können. 2024 wurde auch der eigene Windkanal am Campus fertiggestellt. Es ist klar: Für das Megaprojekt wurden keine Kosten gescheut.
Neuestes Equipment und Windkanal sollen sich spätestens mit dem Regelumbruch in der Saison 2026 positiv auf die Performance des Autos auswirken. Fernando Alonso nannte die moderne Anlage einen ‘Gamechanger’, mit dem man sich in Stellung für den Kampf um die Weltmeisterschaft bringen will. Neben mehr Leistung für die Boliden, hat der Aston Martin Technology Campus noch einen weiteren Vorteil.
“Es wird ein großartiger Ort sein, um zu arbeiten”, schwärmte Aston-Martin-Teamchef Mike Krack Ende 2023. “So sind wir attraktiv für die besten Leute aus dem ganzen Sport.” Ein paar Monate später war mit Adrian Newey dann wirklich eine Formel-1-Größe auf dem Markt. Bei der Verpflichtung des Design-Gurus soll der neue Campus ein überzeugendes Element gewesen sein. Genau wie geplant.
Die große Einkauftour: Nicht nur Newey soll für den Gipfelsturm sorgen
Aber der Rennstall konnte sich nicht nur Newey sichern. Aston Martins Großeinkauf umfasst noch mehr helle Köpfe. Ingenieurs-Direktor Luca Furbatto etwa. Er war ebenfalls ein ‘Einkauf’ in der Saison 2021. Furbatto, ein Urgestein der Formel 1 mit über 20 Jahren Erfahrung, wurde von Sauber abgeworben. Dort hatte er die Rolle des Chefdesigners inne. Noch vor der Saison 2022 übernahm er bei Aston Martin die Position des Ingenieurs-Direktors. Gemeinsam mit dem Performance-Direktor Tom McCullough bildet er eine zentrale Stelle in der technischen Führungsriege.
Und der aggressive Expansionskurs ging 2021 noch weiter. Dieses Mal musste Mercedes daran glauben. Aston Martin holte sich mit Eric Blandin prominente Verstärkung im Aerodynamik-Bereich. Der Franzose war Chef-Aerodynamiker bei den Silberpfeilen gewesen, zuvor hatte er auch bei Red Bull und Ferrari Station gemacht. Als stellvertretender Technischer Direktor nahm Blandin im Oktober 2022 seine Tätigkeiten für Aston Martin auf.
Aber auch damit war die Shoppingtour natürlich noch nicht zu Ende. 2024 wurden noch mehr Bausteine von Lawrence Strolls Expansionsplan enthüllt. Im März holte Aston Martin Bob Bell von Alpine zu sich. Für den Technik-Mann wurde der neue Posten ‘Executive Director – Technical’ erschaffen, wodurch er das technische Führungstrio übersieht. Bell kann über 40 Jahre F1-Erfahrung vorweisen. Von 2003 bis 2018 war er Technischer Direktor bei Alpine (Renault) und hatte damit wesentlichen Anteil an den zwei WM-Titeln des heutigen Aston-Martin-Piloten Fernando Alonso. 2018 ging der Techniker in den Teilruhestand und war nur noch als Berater, sowie für Nicht-F1-Projekte tätig. Aston Martin holte Bell somit auf die Formel-1-Bühne zurück. “Seine Erfahrung wird uns dabei helfen, weitere Schritte auf unserer aufregenden Reise zu machen”, beteuerte Teamchef Mike Krack.
Im Juli gab Aston Martin die nächste hochkarätige Neubesetzung an der Spitze des Teams bekannt. Martin Whitmarsh trat seinen Posten als Group Chief Executive Officer an den ehemaligen Mercedes-Mann Andy Cowell ab. Der Wechsel soll mit Anfang Oktober über die Bühne gegangen sein. Ex-McLaren-Teamchef Martin Whitmarsh wurde erst 2021 ins Team geholt. Damals ebenfalls eine hochkarätige Personal-News. Whitmarsh wurde als CEO damit beauftragt, aus Aston Martin ein meisterschaftsfähiges Team zu machen. Nun räumte er seinen Posten, um Platz für Andy Cowell zu machen.
Wie auch die anderen Neuzugänge bei Aston Martin hat Andy Cowell viel Erfahrung auf dem Buckel. Über 20 Jahre Formel 1 sind es bei ihm. Der Brite ist als Motoren-Guru bekannt und verbrachte viele erfolgreiche Jahre bei Mercedes. Der Höhepunkt seiner Mercedes-Zeit: Die Hybrid-Ära der Königsklasse ab 2014, in der das Team den Sport dominierte und sieben Konstrukteurs- und Fahrertitel in Folge einfuhr. Trotz des enormen Erfolgs verließ Cowell im Jahr 2020 die Silberpfeile und widmete sich Projekten außerhalb der Formel 1. Für Aston Martin kehrte der Spitzeningenieur zurück in die Königsklasse, wie auch schon Bell.
Jemand, der maßgeblich verantwortlich für die Entwicklung der Power Unit in den Jahren der Mercedes-Dominanz war, genießt natürlich hohes Ansehen im gesamten F1-Umfeld. Auch für das Red Bull Powertrains Projekt hätte man Cowell gerne verpflichtet. Die Gespräche mit Red-Bull-Teamchef Christian Horner scheiterten jedoch und wieder entschied sich ein Hochkaräter für Aston Martin. Ausschlaggebend waren erneut die massiven Investitionen und steilen Ambitionen von Team-Inhaber Lawrence Stroll. “Andy hat meine volle Unterstützung und wird alle verfügbaren Ressourcen erhalten, um zu gewinnen”, versprach der Multimilliardär Aston Martins neuem Group CEO.
Man würde meinen, die Einkaufstour sei damit abgeschlossen. Aber nicht ganz. Ein weiterer Personal-Coup gelang dem Rennstall im Sommer 2024. Aston Martin schnappte sich Ferrari-Technikchef Enrico Cardile und baute somit das Formel-1-Projekt weiter um. Der Italiener war seit 2016 mit Ferrari in der Königsklasse aktiv. Seit 2021 war er bei der Scuderia für die komplette technische Leitung von Chassis und Aerodynamik verantwortlich. Aston Martin schuf eigens für ihn einen neuen Posten als ‘Chief Technical Officer’.
Nach Absolvierung seines Gardening Leaves wird Cardile jedoch erst 2025 diese Position für Aston Martin antreten. Dann wird sein Fokus vor allem auf der neuen Formel-1-Fahrzeug-Generation ab 2026 liegen. Team-Inhaber Stroll ist von Cardile und seinen restlichen ‘Einkäufen’ voll überzeugt. “Zusammen mit Andy Cowell [..] und unseren bestehenden Führungskräften bilden wir ein beeindruckendes Team”, so der Kanadier.
Der derzeitige Stand der Aston-Martin-Shoppingtour ist damit erreicht. Von fast jedem Team im F1-Feld wurde eine große Persönlichkeit abgeworben. Der hochkarätigste Neuzugang ist natürlich Design-Genie Adrian Newey, aber auch die restlichen ‘Einkäufe’ bringen eine Unmenge an Expertise und Know-how mit, das sich am neuen Mega-Campus in Silverstone vereint. Mit diesen Voraussetzungen muss das Team regelrecht einen Sprung nach vorne machen. Lawrence Stroll betont nicht nur immer wieder die Titel-Ambitionen seines Rennstalls, sondern hat auch mehrfach bewiesen, dass er auf dem Weg dorthin keine Kosten scheut.
Rückschlag bei Aston Martin: Technik-Chef stolpert über zwei Jahre Rückwärtsgang
Doch nicht alle Anwerbungen, die Team Silverstone tätigte, führten zu einem anhaltenden Erfolg. In der Saison 2023 war Aston Martin dem Ziel schon nahe, und fiel dann wieder deutlich ab. Eine Entwicklung, die vielfach Dan Fallows zugeschrieben wird. Der einstige Red-Bull-Chefaerodynamiker stieß nach langem Hin und Her im April 2022 als Technikchef zu Aston Martin. Er brachte viel Know-How aus Milton Keynes mit, das das Team im Handumdrehen zur Spitze brachte. Er stolperte allerdings über die anschließende Entwicklungsarbeit – ein Faktor, den man nicht einfach irgendwo abwerben kann.
Denn auf das grundsätzlich starke Paket zu Beginn 2023 wurde ein Update-Fehlschlag nach dem anderen montiert. Vor allem der Unterboden machte Probleme und nullte die komplette Entwicklung. 2024 begann das Team nur noch als fünfte Kraft, fiel im Laufe der Saison aber wieder ab. Im November wurde Fallows schließlich von seinem Posten als Technikchef entfernt. Wie die Rolle in Zukunft verteilt wird, ist unklar.
Wenn es 2025 weitergeht wie in der Saison 2024, wäre das eine herbe Enttäuschung. Investitionen und Ambitionen sind schön und gut, doch diese müssen auch auf der Rennstrecke und in den Ergebnissen zu erkennen sein. Natürlich kann kein Team von heute auf morgen zum Meister gemacht werden, aber es ist langsam an der Zeit, dass sich Lawrence Strolls Ausgaben für Personal und Campus samt Windkanal bezahlt machen. Mit den ‘Sommer-Einkäufen’ kam noch ein frischer Schub nach Silverstone, um endgültig für anhaltenden Aufschwung zu sorgen. Schon in der Saison 2025 soll es damit losgehen.
Eine deutliche Steigerung gegenüber den aktuell unzufriedenstellenden Leistungen wird klar erwartet und gefordert. In der Saison 2026 wird das Team von Fernando Alonso und Lance Stroll dann als Honda-Werksteam mit einem Auto aus Adrian Neweys Feder an den Start gehen. Etabliert sich Aston Martin dann wirklich als ‘Team der Zukunft’? Die Weichen dafür sind jedenfalls gestellt.
Dieser Artikel erschien ursprünglich in der Print-Ausgabe Nummer 99 von Motorsport-Magazin im Oktober und wurde seitdem nur leicht überarbeitet, um dem aktuellen Stand zu entsprechen. Wenn ihr noch mehr interessante Hintergrund-Analysen und Artikel lesen wollt, dann ist ein Abo unseres Magazins genau das richtige für euch. Mehr Informationen erhält ihr unter folgendem Link:
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Ebenfalls aus unserem Print-Magazin stammt ein Interview mit Aston Martins Teamchef Mike Krack, der seit 2022 das Team anführt. Er erklärte seine Sicht auf die aktuelle Schieflage des Teams:
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