Kaum ist die Luft rein, fährt er jede Runde wie im Qualifying. Wenige Runden später ist er am Horizont verschwunden und wird von der internationalen Bildregie erst wieder eingefangen, als er mit 37 Sekunden Vorsprung auf den Zweiplatzierten und knapp 40 Sekunden Vorsprung auf den Drittplatzierten über die Ziellinie fährt. Diese Szene kennt Max Verstappen allzu gut, allerdings aus vergangenen Tagen. In Miami war es nicht der Niederländer, der am Horizont verschwand, sondern Oscar Piastri.

Formel 1 in Miami: Red Bull ein Hinterherfahrerteam

Verstappen wandte alles aus seiner fahrerischen Trickkiste an, um die beiden McLaren-Piloten aufzuhalten. Letztendlich ein fruchtloses Unterfangen, das seinem eigenen Rennen schadete, denn Verstappen verlor massiv an Zeit. “Deshalb sagen die Mittelfeldteams zu ihren Fahrern immer ‘Lass ihn vorbei, das kostet nur Zeit!’ Ich glaube aber nicht, dass sich Red Bull oder Verstappen damit auseinandergesetzt haben, dass man jetzt – etwas übertrieben formuliert – ein Hinterherfahrerteam geworden ist”, erklärte Christian Danner.

De facto hat sich das Kräfteverhältnis gedreht – Red Bull ist mittlerweile der Jäger, McLaren der Gejagte. Und genau deshalb war die Herangehensweise von Verstappen in Miami absolut richtig. “Max überlegt nicht, wie er ein Podium absichert, sondern wie er vor dem Gegner (Norris) bleibt. Ich habe größtes Verständnis, dass er in dieser Situation wie ein Löwe gekämpft hat”, betonte Danner. Für den F1-Experten ist auch klar, warum der Zweikampf mit Lando Norris anders verlief als mit Piastri.

Christian Danner: Verstappen nimmt Norris nicht ernst! (33:20 Min.)

Für Norris kommt der Ernst des F1-Lebens

“Wie Piastri das Manöver vorbereitet hat, das war großes Kino. Max hat längst kapiert, dass das mit Piastri eine härtere Sache ist. Norris, wenn ich das mal so flapsig formulieren darf, nimmt er nicht ganz für voll und lässt ihn immer wieder auflaufen, selbst wenn es Zeit kostet und nur ums Prinzip geht”, sagte Danner und fügte hinzu: “Für Norris ist diese Happy-Go-Lucky-Zeit vorbei. Dieses permanente Grinsen und Lustig-und-Blödsinn machen mit Carlos Sainz war okay zum Anfang seiner F1-Karriere. Jetzt ist es wesentlich ernster geworden.”

Dem 25-Jährigen wird von den Medien immer wieder negativ ausgelegt, was ihn bei seinem F1-Debüt 2019 von den teils farblosen Formel 1-Fahrern erfrischend herausstechen ließ. Norris nimmt kein Blatt vor den Mund (selbst bei Themen wie mentale Gesundheit) und ist für jeden Spaß zu haben. Fast schon legendär: McLarens Milch Challenge mit Norris und seinem damaligen Teamkollegen Carlos Sainz. Und wer erinnert sich nicht an die Pressekonferenz zum Großbritannien Grand Prix als der Brite einen Lachanfall bekam, als ihn Daniel Ricciardo auf seine Körperbehaarung ansprach.

Danner: Piastri besitzt Racecraft, Norris fehlt sie

“Jetzt kommt ein wesentlich größerer Anteil Arbeit auf Norris zu, und zwar nicht nur technisch, sondern auch in der Umsetzung. Da gehört auch die eigene Performance dazu, samt Fehleranalyse und Weiterentwicklung”, stellte Danner klar. Gerade die Herangehensweise von Lando Norris im Vergleich zu Oscar Piastri beim Überholen von Max Verstappen in Miami hat für den Deutschen aufgezeigt, dass es dem Briten an Racecraft fehlt.

“Piastri besitzt sie und setzt sie im Wheel-to-Wheel-Kampf gnadenlos um. Da muss sich Norris definitiv weiterentwickeln”, sagte Danner. Trotzdem schreibt er den McLaren-Piloten im WM-Kampf noch nicht ab. “Ich gehöre ganz und gar nicht zu denen, die den Norris deshalb schlachten und sagen, das wird nichts. Klar, wenn er einen Fehler macht, erlaube ich mir zu sagen, dass er mit diesen Fehlern nicht Weltmeister wird. Da bleibe ich auch dabei. Aber Norris ist vom Speed her immer noch sagenhaft und er lernt auch dazu. Wenn man Norris vergleicht, so wie er jetzt fährt, mit dem wie er vor einem Jahr gefahren ist, dann muss ich sagen, da hat er sehr viel dazugelernt.”