Das Formel-1-Rennen in Mexiko wurde zu einem Schaulaufen von Lando Norris, der einsam zum Sieg fuhr, während es hinter ihm viel Trubel gab. Darauf konzentrierte sich die Bildregie auch. Was allerdings im TV-Bild nicht zu sehen war: Eine mehr als brenzlige Szene in Kurve 1, die ein fatales Ende hätte nehmen können.

Folgendes war passiert: Liam Lawson, der in eine Startkollision involviert gewesen war, kam in Runde 3 gerade aus der Box und lenkte in Turn 1 ein, wo nur wenige Meter vor ihm zwei Streckenposten über die Strecke liefen. Ein absolutes No-Go im Rennsport und erst recht in der Formel 1, immerhin die schnellste Rennserie der Welt. Marshals dürfen auf der Rennstrecke nicht in die unmittelbare Nähe von noch Autos im Rennbetrieb kommen – ohne ein Safety Car erst recht nicht.

Der Neuseeländer könnte glücklicherweise rechtzeitig verlangsamen. Er war fassungslos. “Was zum Teufel! Wollt ihr mich verarschen?”, schrie er in den Funk und schien die Situation nicht ganz glauben zu können. “Habt ihr das gesehen?”, erkundigte sich der Racing-Bulls-Pilot bei seinem Team – freilich eine rhetorische Frage. Wenige Sekunden später schien Lawson einzuleuchten, wie knapp er soeben an einer Tragödie vorbeigeschrammt war. “Ich hätte sie verdammt nochmal töten können”, funkte er an seinen Renningenieur.

Nach dem Rennen erklärte Lawson seinen verständlichen Gefühlsausbruch: “Ich konnte nicht glauben, was ich da sah. Ich kam in Kurve 1 und da waren einfach zwei Typen, die über die Strecke rannten, und ich hätte einen davon fast getroffen.” Er forderte Erklärungsbedarf: “Es war so gefährlich. Offensichtlich gab es eine Fehlkommunikation irgendwo, aber ich habe so etwas noch nie erlebt und es ist ziemlich inakzeptabel.”

FIA reagiert auf Beinahe-Katastrophe: So kam es dazu

Diese Erklärung folgte auch. Die FIA äußerte sich in einer Stellungnahme nach dem Formel-1-Rennen zu dem Zwischenfall. In diesem schob sie die Schuld von der Rennleitung. “Nach einem Vorfall in Kurve 1 wurde die Rennleitung informiert, dass sich Trümmer am Scheitelpunkt auf der Strecke befanden. In Runde 3 wurden die Streckenposten alarmiert und in Bereitschaft versetzt, um die Strecke zu betreten und die Trümmer zu beseitigen, sobald alle Autos die erste Kurve passiert hatten”, erklärten sie den Ablauf vor dem Zwischenfall.

Da sich das Rennen noch in einer frühen Phase befand, gab es noch eine große Lücke zwischen dem Ende des Feldes und den Führenden. Also ausreichend Zeit, um schnell und sicher die Trümmer von der Strecke zu bekommen. Doch der Boxenstopp, bei dem Lawson in Runde 2 einen neuen Frontflügel aufgesteckt bekam, machte dem Plan einen Strich durch die Rechnung.

Die Rennleitung hatte das auf dem Schirm: “Sobald klar wurde, dass Lawson an die Box gefahren war, wurde die Anweisung, Streckenposten zu entsenden, zurückgenommen, und in diesem Bereich wurde eine doppelte gelbe Flagge gezeigt.” Doch diese Planänderung schien offenbar nicht die zuständigen Streckenposten erreicht zu haben.

Wie genau es dazu kam, dass die Marshals nun doch auf die Strecke gingen, kann die FIA zu diesem Zeitpunkt noch nicht sagen. Der Weltverband erklärte, dass man dies noch untersuche. Ohne Erlaubnis der Rennleitung darf ein Marshal selbstverständlich unter keinen Umständen die aktive Rennstrecke betreten. Diese Genehmigung muss direkt von der Rennleitung kommen und eine spezifische Stelle betreffen.

In Kurve 1 wurden zu dem Zeitpunkt, als Lawson ankam, doppelte gelbe Flaggen geschwenkt. Laut Regelwerk ein Zustand, in dem ein Fahrer jederzeit in der Lage sein muss, anzuhalten. Also befand sich der ehemalige Red-Bull-Fahrer nicht in voller Fahrt, mit vor ihm die Strecke querenden Marshals konnte er dennoch nicht rechnen.

Streckenposten laufen über Strecke: Erinnerungen an Monaco 2019 werden wach

Das wird auch aus einer Situation später im Formel-1-Rennen klar, als kurz vor Schluss der Wagen von Carlos Sainz am Streckenrand geborgen werden musste. Dieser befand sich am Eingang einer Auslauftasche geparkt, und musste abseits der Strecke nur wenige Meter zurückgerollt werden. Dennoch war ein virtuelles Safety Car die Folge, um die Sicherheit aller Beteiligten zu gewährleisten.

Die Königsklasse hat in diesem Zusammenhang aus mehreren grausigen Vorfällen in ihrer 75-jährigen Geschichte gelernt. 2014 verunglückte Jules Bianchi, nachdem er in ein Bergungsfahrzeug krachte. Er starb an der Folgen der Verletzungen. Die wohl brutalste Episode dieser Art gab es 1977. Damals kam es beim Südafrika-GP zu einer tödlichen Kollision zwischen dem Briten Tom Pryce und einem über die Strecke laufenden Streckenposten – beide starben damals auf der Stelle.

Dennoch kam es auch in den letzten Jahren noch zu einigen brenzligen Situationen. Ein ähnlicher Fall wie nun in Mexiko hatte sich 2019 in Monaco zugetragen. Dort war etwa Sergio Perez am Boxenausgang um ein Haar mit zwei Streckenposten kollidiert. Damals hatten offenbar die Marshals eigenmächtig gehandelt, da für den spezifischen Streckenabschnitt keine Erlaubnis vorlag, um die Strecke zu betreten.