Florian Niedermair
Formel 1 & Motorsport Ressort
Italiener auf dem Papier, Österreicher im Herzen. Die meiste Zeit mit der Formel 1 beschäftigt, aber gerne auch mal bei anderen Rennserien in Aktion.MEHR
Formel 1 Baku, Gewinner: Oscar Piastri
Nach Ungarn war Oscar Piastri auf einer Mission. Nämlich auf der Mission, den bitteren Beigeschmack seines ersten Grand-Prix-Sieges vergessen zu machen. Und recht viel besser hätte er das nicht umsetzen können. In Baku bekam der Australier gar nichts geschenkt. Dafür bewies er bei seinem scheinbar aussichtslosen Manöver gegen Charles Leclerc eine massive Portion Killerinstinkt und zeigte danach, dass er unter Druck ein Stein in der Brandung ist. Das Einzige, das an Piastris Auftritt nicht spektakulär ist, sind seine Siegerinterviews. In denen klingt er so gelassen, als würde er gerade gemütlich beim Frühstück sitzen. Eine lässige Socke, dieser Typ!
Formel 1 Baku, Gewinner: McLaren
Piastri war der große Sieger und McLaren erst recht. Die Woking-Mannschaft ist wieder dort, wo sie in der Hybrid-Generation erst einmal war: Auf Platz 1 in der Konstrukteurs-WM der Formel 1. Dort befand sich McLaren nämlich nach dem Australien-GP 2014, ehe sie in eine Odyssee des Misserfolgs und der Selbstzerstörung aufbrachen. Hat also nur zehn Jahre gedauert bis sie wieder an der Spitze thronen. Anhand der jüngsten Leistungen erscheint es nur schwer vorstellebar, dass sie bis zum Saisonende noch von irgendjemandem von dort verdrängt werden. 20 Punkte beträgt der Vorsprung auf Red Bull im Moment, die größere Gefahr geht aber wohl von Ferrari aus, die sind schon 51 Zähler hinten sind.
McLaren hat nicht nur in der WM-Tabelle an diesem Wochenende einen Durchbruch erreicht, sondern hat auch im Rennmanagement eine perfekte Strategie orchestriert. Norris einzusetzen, um Sergio Perez etwas einzubremsen, legte den perfekten Grundstein für Piastris heroische zweite Rennhälfte und somit den Sieg. Norris auf Hard ins Rennen zu schicken war ebenfalls goldrichtig. Den einzigen Minuspunkt leisteten sie sich im Qualifying: Klar, das Q1-Timing mit der gelben Flagge war unglücklich, aber: Musste man im entscheidenden Run wirklich erst so spät auf die Strecke gehen?
Formel 1 Baku, Gewinner: Sergio Perez
Verunfallt und trotzdem ein Gewinner? Klingt komisch, ist aber so, um es in den Worten von Peter Lustig zu sagen. Denn abgesehen von seinem schweren Crash mit Carlos Sainz, für den laut den Stewards beide Fahrer gleichermaßen verantwortlich sind, hat Perez ein Wochenende abgeliefert, das er sich in seinen kühnsten Träumen wohl nicht einmal vorstellen konnte. An einem gesamten Rennwochenende schneller als Verstappen war er seit Ewigkeiten nicht mehr – selbst bei seinen Siegen 2023 spielte ihm jeweils auch ein Rückschlag des Weltmeisters in die Karten. Man muss schon bis Singapur 2022 zurückgehen, um ein vergleichbares Wochenende zu finden. Und das alles in der wohl schwersten Schwächephase seine Red-Bull-Karriere. “Nehmt das, Kritiker!”, wird sich Perez im Cockpit gedacht haben. Wenn nur diese verflixte 49. Runde nicht gewesen wäre…
Formel 1 Baku, Gewinner: Williams
James Vowles und Williams haben alles richtig gemacht. Das lässt sich nach zwei Grands Prix mit Franco Colapinto bereits schlussfolgern. In seinem zweiten Start hat Franco Colapinto schon mehr Punkte gesammelt als Logan Sargeant in seiner gesamten Formel-1-Karriere. Ja er hatte Glück, dass vor ihm Leute ausfielen, aber dieses Glück hatte der US-Amerikaner bei seinen einzigen F1-Punkten ja auch. Vor seinem Aufstieg wurde dem damaligen Sechsten der Formel 2 häufig nicht mehr Talent nachgesagt als es Sargeant hat. So falsch kann man liegen! Platz 7 und 8 in Baku verhalfen Williams auch zu einer wahren Punkteflut, die den achten Platz in der Konstrukteurs-WM von Enstone nach Grove schwemmte.
Formel 1 Baku, Verlierer: Charles Leclerc
Diesen Sieg hatten die Renngötter eigentlich für Charles Leclerc vorgesehen. Metaphorisch war sein Name eigentlich schon in die Siegertrophäe eingraviert. Doch in der einzigen Rennphase, in der er angreifbar war, ließ sich Leclerc wie ein Anfänger von Oscar Piastri auskochen. Für das Rennen danach saß er im falschen Auto, ein paar Extra-Km/h auf der Start-Ziel-Geraden hätten dem Ferrari-Piloten schon gutgetan. Aber so weit wäre es nie gekommen, wenn er konsequent gegen die Attacke von Piastri verteidigt hätte. So steht seine Baku-Bilanz exemplarisch für seine gesamte F1-Statistik: Fünf Poles, null Siege. Bitter!
Formel 1 Baku, Verlierer: Max Verstappen
Der Unbesiegbare ist doch nur ein Mensch. Nach Jahren der Alleinherrschaft in Milton Keynes wurde Max Verstappen zumindest für ein Wochenende vom Thron gestoßen. Eine Setup-Änderung nach dem dritten Training brachte das ganze Unheil ins Rollen, auch zuvor war Perez aber einen Tick besser. Setup hin, Setup her, für Verstappen waren das mal wieder wichtige Punkte, die er sich von Norris klauen ließ. Eigentlich war nach dem verpatzten Qualifying des McLaren-Fahrers eine Vergrößerung des WM-Vorsprungs fix eingeplant. Stattdessen schmilzt das Punktepolster aber weiter.
Formel 1 Baku, Verlierer: Lewis Hamilton
Eigentlich hätte das Wochenende eine Trendwende werden sollen. Eine Trendwende bei der Suche nach einem Ausweg aus dem Unterboden-Labyrinth in Brackley. Doch nach dem Grand Prix sind bei Mercedes genauso viele Fragezeichen wie zuvor. In Austin sollen beide Experiment-Unterböden in den Restmüll entsorgt und durch eine neue Spezifikation ersetzt werden. Für Lewis Hamilton war das Wochenende doppelt bitter. Nach einem Motorwechsel war das Rennen für ihn so oder so gelaufen, die Aufholjagd verlief aber um einiges enttäuschender als zu erwarten war. Immerhin: Jetzt sollte der Rekord-Weltmeister ohne weiteren Motorwechsel durch die Saison kommen.
Formel 1 Baku, Verlierer: Nico Hülkenberg
Ohne Kevin Magnussen lagen die Hoffnungen von Haas beim Aserbaidschan-GP eigentlich größtenteils auf Nico Hülkenberg. Doch dann tanzte dem Emmericher plötzlich Super-Sub Oliver Bearman auf der Nase herum. Zunächst war der Brite im Qualifying besser als ‘Hülk’, dann kochte er ihn auch noch kurz vor Rennende nach der Gelbzone aus. Von einem Ersatzfahrer, der erst sein zweites Rennen bestreitet, so hopps genommen zu werden, das muss einen F1-Routinier mit 220 Rennstarts schmerzen.
Formel 1 Baku, Verlierer: Alpine
Das kann ja alles kein Zufall mehr sein. Wir zählen auf: Motorproblem bei Esteban Ocon in FP1, Motorproblem von Ocon in FP3 und schließlich eine Überschreitung der Benzin-Durchflussbeschränkung bei Pierre Gasly im Qualifying. Drei Power-Unit-Probleme innerhalb von weniger als 48 Stunden und das just in der Phase, in der die Belegschaft in Viry-Chatillon mit Streikdrohungen auf sich aufmerksam macht. Irgendwie riecht das faul. Aber wir wollen mal nicht mit unbestätigten Verschwörungstheorien um uns werfen. Aus welchen Gründen auch immer: Fakt ist, dass dieses Wochenende von Alpine ein kompletter Reinfall war. Zu den laufenden PU-Problemen kam noch ein Wandeinschlag von Esteban Ocon im Qualifying. Bilanz: Null Punkte und Konstrukteurs-Platz 9 verloren.
Bei Alpine gibt es nach dem Formel-1-Rennen in Baku einige Fragen zu beantworten. Die Antworten auf elf andere Fragen zu diesem Wochenende haben hingegen wir für euch:
© Motorsport-Magazin
diese Formel 1 Nachricht