Markus SteinrisserAnalyse
Formel 1 Ressort
Seit 2018 im F1-Team. Der Mann fürs Textliche. Nichts ist schöner als Action auf- und abseits der Strecke, fusioniert zum großen Feature.MEHR

Wer auf das Ergebnis des 2. Freien Trainings der Formel 1 in Bahrain schaut, der würde niemals auf die Idee kommen, dass es sich hier um eine Angststrecke von McLaren handelt. Eine halbe Sekunde fehlt dem besten Nicht-McLaren auf die Bestzeit von Oscar Piastri. Die Trainings-Analyse checkt, ob das Angststrecken-Gerede aus dem Sandbagging-Fabelreich stammt – oder ob Mercedes da vorne auftauchen könnte.
Vor den Trainings war die Theorie der McLaren-Angststrecke eigentlich offensichtlich. Seit Jahren ist das Auto dafür bekannt, in langsamen eckigen Kurven wie es sie in Bahrain zuhauf gibt nicht zurechtzukommen. “Ich bin mir nicht sicher, ob McLaren hier überhaupt viel Vorsprung haben wird”, sagte Teamchef Andrea Stella am Freitagnachmittag.
Stark, so räumte Stella zumindest ein, sei das Auto voraussichtlich im Longrun, da es seine Reifen sehr sanft anfasst: “Das konnten wir in Suzuka nicht wirklich ausspielen, weil der Abbau dort gering war. Hier ist es eine Strecke mit hohem Abbau, so könnte das unsere Stärke sein. Aber um diese Stärke auszuspielen, musst du dich gut qualifizieren, und darfst nicht im Verkehr feststecken.” In Bahrain ist ein Zweistopp-Rennen fast garantiert.
McLaren gewinnt in Bahrain gegen Mercedes in nur einer Passage
Auf eine Runde, so die McLaren-Logik infolgedessen, tritt die Reifen-Stärke nicht zutage. Sehr wohl aber die Schwäche in den langsamen Kurven. Aber zwei Stunden später brannte Oscar Piastri in der Nacht im 2. Training eine 1:30,505 in den Asphalt. Piastri hängte seinem Teamkollegen Lando Norris 0,154 Sekunden an, und dem ersten Nicht-McLaren in Gestalt von George Russell sogar 0,527 Sekunden.
Wo holte der McLaren die Zeit? Tatsächlich zeigt sich im ersten Sektor – Geraden, unterbrochen von engen Kurven – direkt der Angst-Faktor. Mit über zwei Zehnteln Vorsprung kommt Russell in den schnellen Passagen im Mittelsektor an. Doch an einer eher ungewöhnlichen Stelle – hinein in die schwer zu fahrende Haarnadel vor der Gegengeraden – bekommen die McLaren-Gegner im 2. Training Probleme.
Die Anbremszone der Haarnadel ist bekanntlich mit dem abfallenden Linksknick davor schwierig. Besonders Piastri schien sich in FP2 dort sehr wohlzufühlen. Ein Zehntel nahm er Teamkollege Norris ab. Beide schafften es, schnell in die Haarnadel einzufahren, trotzdem aber das Auto gut zu rotieren und damit so schnell wieder aus der Kurve herauszukommen wie die Konkurrenten, die am Eingang bewusst Tempo für einen besseren Exit rausnahmen.
Die McLaren-Fahrer sehen aber keinen Grund, nach dem Freitag eine Überlegenheit zu verorten. “Dass sie so groß war, das war doch eine Überraschung”, meint Piastri und prognostiziert: “Die anderen werden mehr finden. Dann wird es wieder eng.” Besonders auf Mercedes liegt hier diesmal der Fokus.
Mercedes am Bahrain-Freitag erster McLaren-Jäger
Mercedes erwischt es in Kurve 10 schlimm. George Russell allerdings verlor schon davor durch die schnellen Kurven und vor allem mit einem Quersteher in Kurve 8. Deutlich mehr Zeit ging verloren als bei Teamkollege Kimi Antonelli. So verließ Russell Kurve 10 mit vier Zehnteln Rückstand – sechs Zehntel gingen innerhalb von einem Kilometer verloren.

Bis ins Ziel kam nur ein weiteres Zehntel hinzu. So scheint es, dass der Mercedes in Russells Händen auf dem Papier näher sein kann. Um einiges näher. Russell selbst sieht sich trotzdem nur im Kampf um den dritten Platz: “Wir haben McLaren weit vorne erwartet, und das haben wir im Mittelsektor gesehen, wo die Reifen überhitzen.” Ja, in Bahrain kann Überhitzen der Reifen auch auf eine Runde eine Rolle spielen, auch wenn es dabei “nur” um das Überhitzen der Oberfläche geht.
Wenn McLaren auch das besser unter Kontrolle hat, rutschen die Fahrer auch in den Angst-Kurven infolgedessen weniger und sind unter dem Strich schneller. So ist McLaren in Bahrain sicherlich Favorit. Doch zumindest Russell hängt Piastri und Norris im Nacken und braucht nur einen Fehltritt. Mercedes’ Rolle des ersten Verfolgers wird auch in den Longruns sichtbar. Hier sei angemerkt: Piastri fuhr eine andere Longrun-Strategie. Sein 1:37,0-Schnitt kam erst am Ende, nachdem er mit bereits leereren Tanks und leichterem Auto bei besserer Strecke von Hard auf Soft wechselte.
Norris aber fuhr 13 Runden auf dem Soft durch, und war im Schnitt drei Zehntel schneller als Russell. Das ist ein doch signifikanter Batzen Zeit, und aus eigener Kraft wäre ein Sieg selbst dann schwer, wenn Russell die nötigen ein oder zwei letzten Zehntel für die Pole aus dem Hut zaubern würde. Trotzdem – es könnte schlimmer sein. Bei Red Bull und Ferrari etwa.
Red Bull & Update-Ferrari im Bahrain-Training in ernsten Problemen
Max Verstappen verlor über die Distanz bereits im Schnitt eine halbe Sekunde auf Norris. “Das Hauptproblem sind die Reifentemperaturen, die kriegen wir nicht unter Kontrolle”, so Motorsport-Berater Dr. Helmut Marko. Die bereits vor dem Wochenende geäußerte Angst hat sich bewahrheitet: “Dann rutschen wir, das macht es noch schlimmer.” Zwar fuhr Red Bull wohl mit weniger Motorleistung, aber man macht sich keine Illusionen: “Das macht nicht viel aus.”
Einziger Hoffnungsschimmer: Verstappen fuhr einen verkürzten Freitag, stellte in FP1 sein Auto Ayumu Iwasa zur Verfügung und fuhr in FP2 nur Soft-Reifen. Mit der Balance war er bislang gar nicht zufrieden, klagte wiederholt auch über die Bremse. Besonders durch die Bergauf-Links verliert Verstappen massiv, und im letzten Sektor stimmt die Balance überhaupt nicht.
“Wir werden wie in Japan groß umbauen”, kündigt Marko an. “Hoffentlich kriegen wir wieder einen goldenen Mix aus Setup-Änderungen hin.” Verstappen ist sich nur unsicher: “Grip und Gefühl fehlen. Die Balance war nicht so schlecht.” Den Effekt kennt man schon: Wenn sich der Red Bull gut anfühlt, ist er nicht unbedingt schnell. Aber wenn er sich schlecht anfühlt, rutscht er oft noch mehr und verschleißt die Reifen noch mehr. Es bleibt schwierig. Yuki Tsunodas grauenvolle Zeiten sollte man laut Marko übrigens ignorieren: “Er hat was anderes probiert, das sagt nichts aus.”
Bei Ferrari war man am Freitag mit großem Unterboden-Update am Start. Die ersten Daten suggerieren, dass alles wie erwartet liefert. Doch wie Red Bull schien hier die Balance nicht ins Fenster kommen zu wollen. Lewis Hamilton und Charles Leclerc verloren kontinuierlich, in den letzten zwei Kurven aber verabschiedete sich die Balance immer wieder.
Leclerc führte seine Setup-Experimente der Vorwoche fort: “Aber das Potenzial bleibt das Gleiche, und wir sind schlichtweg nicht schnell genug. McLaren ist auf einem anderen Planeten.” Trotzdem ist Ferrari ähnlich wie Red Bull in der Position, mit Setup-Antworten die Lücke zu verkürzen. Sofern man es schafft, die Reifen durch den letzten Sektor vor dem Überhitzen zu bewahren.
Überraschende Williams wieder ganz vorne im Mittelfeld: Bahrain-Testform bestätigt?
Mitten in der Spitzengruppe taucht nicht zum ersten Mal in diesem Jahr währenddessen Williams auf. Die Longrun-Zeiten sollte man nicht überbewerten – Alex Albon fuhr ähnlich wie Piastri zwei kürzere Stints statt einen langen. Und auch er fuhr dabei den Soft erst am Ende mit leichterem Auto bei besseren Streckenbedingungen. Genauso sieht der Medium-Stint davor besser aus, eben weil er kürzer ist und nie in die wirklich schlimme Abbau-Phase kam.
So schnell wie im Wintertest – wo Carlos Sainz die absolute Bestzeit fuhr – ist Williams dann wohl doch nicht. “Mit der Hitze fallen wir vielleicht etwas zurück”, schätzt Albon, sieht aber vor allem Probleme in langsamen Kurven: “Wenn wir das lösen, haben wir ein viel besseres Auto.” Auch wenn Isack Hadjar seinen Racing Bull in FP2 wieder mit P6 weit vorne platzierte, so rechnen im Mittelfeld alle wieder mit einem engen Kampf um die letzten Q3-Plätze. Alle Mittelfeld-Teams hatten ein Auto innerhalb eines Bereiches von sechs Zehnteln.
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