Florian Niedermair
Formel 1 & Motorsport Ressort
Italiener auf dem Papier, Österreicher im Herzen. Die meiste Zeit mit der Formel 1 beschäftigt, aber gerne auch mal bei anderen Rennserien in Aktion.MEHR
Der Trend bei den vergangenen Grands Prix in dieser Formel-1-Saison stand auf Wachablöse. Red Bull und Max Verstappen waren trotz der deutlichen WM-Führung nicht mehr tonangebend, dafür heizten McLaren und Mercedes richtig ein. In Zandvoort möchte der Weltmeister vor Heimpublikum zurückschlagen und seine perfekte Bilanz auf dem Dünenkurs verteidigen. Das Trainings-Ergebnis macht ihm wenig Hoffnung. Sieht es bei den Longruns besser aus?
Red Bull kam mit Rückstand aus den Startlöchern. Sowohl in FP1, das nur ein schmales Zeitfenster für Trocken-Runden zuließ, als auch im zweiten Training, sortierte sich Verstappen hinter der Konkurrenz ein. Während es in FP1 nur Lando Norris war, der eine bessere Zeit setzen konnte als Verstappen, bildete der Weltmeister im zweiten Training das Schlusslicht in dem Spitzenquintett. Wenn auch mit einem Abstand von 0,284 Sekunden alles sehr eng beisammen lag.
Max Verstappen: Rückstand im Training, Favorit fürs Qualifying?
Umso überraschender kam die Feststellung von Red-Bull-Motorsportberater Dr. Helmut Marko nach den Freitags-Trainings: “Im Qualifying, glaube ich, da schauen wir gut aus.” Dabei berief sich der Österreicher darauf, dass Red Bull im Training noch nicht die volle Power aufgedreht hatte. Ein Argument, das er schon bei den letzten Formel-1-Wochenenden mehrmals zur Rate zog.
Doch häufig erwies sich der vermeintlich höhere Power-Einsatz von McLaren in der jüngeren Vergangenheit als Trugschluss. Die GPS-Daten in Zandvoort legen nahe, dass beim Niederlande-GP sowohl Norris als auch Verstappen bei der Motorleistung noch Luft nach oben haben. Beide verloren auf ihrer schnellen Runde auf der Gegengerade auffällig viel Zeit im Vergleich zu Mercedes oder zu Oscar Piastri.
Den Optimismus von Marko teilt Verstappen selbst nicht. “Wir sind ein bisschen zu langsam auf dem Shortrun und ein bisschen zu langsam auf dem Longrun, also haben wir einiges an Arbeit vor uns”, bilanzierte der Lokalmatador. Die Balance des RB20 ist noch nicht ganz auf die holländische Achterbahn angepasst. Insgesamt war latentes Untersteuern das Hauptproblem. Ein Fahrverhalten, das Verstappen bekanntermaßen nicht liegt.
Zudem scheint der Red Bull auch windanfälliger zu sein als die direkte Konkurrenz. In beiden Trainings-Einheiten hatte Verstappen mit seinem Auto zu kämpfen, in FP1 leistete er sich sogar einen seltenen Dreher. Perez wurde ebenfalls zwischendurch mehrmals vom starken Nordsee-Wind getroffen. Rückenwind auf der Start-Ziel-Geraden und bis zu Kurve 1 waren ein gängiges Muster am Trainings-Freitag, das in FP1 und vor allem in der Frühphase von FP2 für eine Reihe an Fahrfehlern in Kurve 1 sorgte – dort erwischte es auch ihn zweimal.
Bei Red Bull glaubt man dennoch an die eigene Stärke auf eine Runde. Das hat auch noch einen zweiten Grund. Denn der Samstag soll laut derzeitigen Prognosen verregnet sein und somit das Qualifying ausschließlich bei feuchten Bedingungen über die Bühne gehen. Regen-Qualifikationen waren in den vergangenen Jahren in der Formel 1 ein Steckenpferd von Verstappen.
Lando Norris: Mercedes einen Schritt vor McLaren
Verstappens Hauptkonkurrent in der WM, Lando Norris, wähnte sich auch nach dem Trainings-Freitag im Hintertreffen. Der Brite verortete Mercedes nach der FP2-Bestzeit in der Favoritenrolle und sprach von Aufholbedarf für die Truppe aus Woking.
Anders war die Stimmungslage bei den zwei Trainings-Schnellsten. Oscar Piastri gab sich zufrieden, verzichtete allerdings auf konkrete Standortprognosen, George Russell bejubelte abgesehen von der guten Performance auch das erfolgreiche Debüt der neuen Upgrades am W15. Sowohl Hamilton als auch Russell hatten schon am Freitag in FP2 die neue Ausbaustufe am Fahrzeug montiert.
In den Longruns spiegelte sich der Mercedes-Vorteil nicht wieder. Dort war auf dem Soft-Reifen, mit dem die meisten Favoriten einen vergleichbaren Run abgespult hatten, mit Max Verstappen und Lando Norris das WM-Führungsduo vorne. Norris setzte für den Großteil seines Runs die besten Zeiten, weshalb Red Bull ihn zum Hauptgegner erklärt hat. Doch dabei nahm er die Reifen wohl etwas zu hart ran, wodurch die Zeiten gegen Ende seines Runs abfielen. Verstappen war im Schnitt deshalb eine Spur schneller.
Piastri zeigte im Longrun, dass der McLaren aber auch reifenschonend bewegt werden kann, er war aber auch etwa sieben Zehntelsekunden langsamer unterwegs. Das deutet darauf hin, dass die Papaya-Orangen zwei vollkommen unterschiedliche Referenz-Programme ausprobierten.
Sowohl Russells Longrun-Zeiten auf dem Soft als auch jene von Hamilton auf den Mediums bewegten sich nicht auf dem Niveau von Verstappen und Norris, beim Österreich-Sieger bauten die Pneus gegen Ende des Runs deutlich ab. Auf den Medium-Reifen war auf etwa 15 Runden bei niemandem ein wirklicher Einbruch zu erkennen, höchstens ein kleiner Rückgang. Hamilton war dabei keine Ausnahme.
1-Stopp und Rückenwind: Fällt die Renn-Entscheidung schon im Qualifying?
Marko schlussfolgerte, dass eine 1-Stopp-Strategie möglich wäre. Pirelli geht ebenfalls von nur einem Reifenwechsel aus. Laut Reifenchef Mario Isola schafft man es mit Soft-Hard am flottesten über die Distanz. Aus den wenigen Vergleichsrunden lässt sich ableiten, dass die harten Reifen auf 15 Umläufe gar keinen Performance-Verlust aufweisen.
Eine 1-Stopp-Strategie spricht dafür, dass dem Qualifying umso mehr Bedeutung zukommt, denn Zandvoort ist alles andere als eine überholfreundliche Strecke – vor allem, falls am Rennsonntag auf Start-Ziel der Wind erneut von hinten bläst. “Wenn man erst einmal vorne ist, dann ist es relativ egal, ob man ein paar Zehntel mehr verliert”, ist sich Marko sicher.
Die Longruns sind also mitunter nicht der entscheidende Faktor. Die extrem enge Leistungsdichte unter den ersten fünf lässt Prognosen schwer zu, vor allem weil der Wetterbericht für Samstag jegliche Qualifying-Prognose – im wahrsten Sinne des Wortes – verwässert. Die Entscheidung scheint also zwischen den Top 5 zu fallen: Zweimal Mercedes, zweimal McLaren und Verstappen.
Mit Ferrari ist in Zandvoort wohl nicht zu rechnen: Charles Leclerc lieferte als einziger Scuderia-Pilot einen Vergleichswert (Sainz nahm aufgrund eines Defekts nur kurz an FP2 teil) und reihte sich nach einem Fehler in Kurve 8 nur auf P9 ein. Ohne diesen Patzer wäre er auf P6 gelandet.
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