Red Bull steht vor der Formel-1-Saison 2026 vor zwei Problemen, die auf den ersten Blick im Widerspruch zueinander stehen. Auf der einen Seite hat man zu viele Fahrer für alle F1-Cockpits der Energydrink-Marke. Auf der anderen Seite verfügt man über keinen geeigneten Teamkollegen für Max Verstappen. Der Niederländer ist der Einzige, der für 2026 gesetzt ist, alle anderen drei Cockpits sind noch offen. Es gibt vier Kandidaten. Was für und gegen die jeweiligen Fahrer spricht:

Isack Hadjar: Der nächste Nachwuchsfahrer für den Verstappen-Fleischwolf?

Isack Hadjar hat sich in den letzten Monaten als Favorit für den Job als zweiten Red-Bull-Fahrer herauskristallisiert. Der Franzose fährt sich dank einer starken ersten Formel-1-Saison ins Rampenlicht hat und dabei die Erwartungen vieler externer Beobachter übertroffen. Dr. Helmut Marko hatte schon vor Beginn der Saison große Stücke auf Hadjar gehalten, der in den Nachwuchsklassen zwar für vorwiegend gute Ergebnisse sorgte, aber nur selten als absolutes Toptalent galt. Er wurde bestätigt.

Seine Reaktion auf herbe Rückschläge, wie den Unfall zu Saisonbeginn in Australien, mit bärenstarken Auftritten bei den darauffolgenden Asien-Rennen spricht für eine starke mentale Abgeklärtheit des Fahrers, der in der Formel 2 häufig durch Funk-Ausraster für Aufsehen gesorgt hatte. Vor Fahrfehlern und einzelnen schlechteren Wochenenden war zwar auch Hadjar nicht gefeit, aber unter dem Strich war er locker der bessere der beiden Racing-Bull-Piloten.

Mit dem radikalen Regel-Umbruch für 2026, mit dem sich die Fahreigenschaften der Autos radikal ändern, wäre es auch der ideale Zeitpunkt für einen Wechsel, da niemand inklusive Verstappen die Erfahrungswerte aus den aktuellen Boliden mitnehmen kann.

Gegen Hadjar spricht vor allem die Gefahr, den erst 21-Jährigen an der Seite von Max Verstappen zu verbrennen. Denn in den letzten sieben Jahren scheiterten nicht wenige Piloten daran, neben dem Niederländer zu bestehen. Im Grund alle außer Sergio Perez, der sich zumindest ein paar Jahre achtbar aus der Affäre ziehen konnte und selbst dabei nicht immer die beste Figur abgab. Abgesehen von Verstappen kann aber Hadjar am gelassensten auf 2026 blicken. Ein Cockpit hat er sicher, ob es nun jenes bei Red Bull Racing oder bei den Racing Bulls ist.

Isack Hadjar – Pro

  • Starke Rookie-Saison
  • Noch kein direkter Vergleich mit Verstappen
  • Neue technische Regeln

Isack Hadjar – Contra

  • Erfahrungsrückstand
  • Zu früh für einen Aufstieg?

Yuki Tsunoda: Vorsicht statt Jugendwahn?

Im Gegensatz zu Hadjar ist Yuki Tsunoda eine bekannte Messlatte innerhalb von Red Bull. ‘Messlatte’ im Sinne von: Man weiß, was man bekommt. Die Leistungen des 107-fachen Grand-Prix-Starters, der damit der erfahrenste Japaner in der F1-Geschichte ist, waren 2025 dennoch alles andere als gut und vor allem sehr weit von Verstappen entfernt. Angesichts der Präzedenzfälle Lawson und Perez gaben sich die Verantwortungsträger bei Red Bull aber betont nachsichtig mit ihm.

Tsunoda wurde in den letzten Jahren immer über Motorhersteller Honda in der Formel 1 gehalten, eine Unterstützung, die nächstes Jahr mit dem Wechsel auf die eigene Power-Unit-Schmiede und dem Honda-Einstieg bei Aston Martin, ausläuft. Das Behalten von Tsunoda im Topteam wäre die vorsichtige Lösung und würde einem potenziellen Nachfolger (zB: Hadjar oder Lindblad) zusätzliche Vorbereitungszeit geben.

Bei den Racing Bulls würde für Tsunoda sprechen, dass man mit ihm gleich eine Messlatte für einen Rookie im Team hat. Ein Umstand, der bei Lawson und Hadjar nur begrenzt der Fall ist. Was gegen eine Fortsetzung mit Tsunoda sprechen würde, wäre die Red-Bull-Philosophie der Vergangenheit. Diese fußt ja darauf, vielen Fahrern eine F1-Chance zu geben, um dann die Spreu vom Weizen zu trennen. Sprich: Die echten Supertalente von den mittelmäßigen Fahrern zu unterscheiden.

Wie viel dieser Ideologie noch vorhanden ist, lässt sich aber nur schwer abschätzen. Das liegt auch daran, dass in dem neu strukturierten Formel-1-Programm von Red Bull nach außen nicht ersichtlich ist, wer in letzter Instanz die Fahrer-Entscheidungen trifft.

Yuki Tsunoda – Pro

  • Erfahrung
  • Wenig gute Alternativen
  • Ausbildungsjahr für Rookies bei Racing Bulls

Yuki Tsunoda – Contra

  • Leistungen in der F1-Saison 2025
  • Honda-Unterstützung läuft aus

Liam Lawson: Gut genug für die Formel 1?

Liam Lawsons Ausgangslage ist vielschichtiger als jene von Tsunoda und Hadjar. Der Neuseeländer hatte seine Chance bei Red Bull Racing, die er nach allen Regeln der Kunst nicht nutzen konnte. Ein erneuter Aufstieg zu den Bullen erscheint also ausgeschlossen. Es geht bei ihm um das Racing-Bulls-Cockpit, das seine einzige Option ist, um als Stammfahrer in der Formel 1 zu bleiben.

Die wichtigste Frage bei Lawson ist: Wie viel von seinem Potenzial hat er in der Königsklasse schon gezeigt? Zu starken Auftritten wie bei seinem ungeplanten Debüt-Einsatz 2023 in Singapur oder auch beim Aserbaidschan-GP 2025 kamen mindestens genauso viele schwache Wochenenden, in denen er nicht überzeugen konnte. Gleichzeitig scheint er auch beinahe magnetisch Ärger anzuziehen. Lawson ist übermäßig oft in Zwischenfälle mit anderen Fahrern involviert und verfügt bei seinen Kollegen deshalb über keinen besonders guten Ruf.

Im teaminternen Duell gegen Hadjar spielt er in der Formel-1-Saison 2025 die zweite Geige, sowohl im Qualifying als auch im Rennen, auch wenn sich die Leistungen seit seiner Degradierung zum Faenza-Team nach einem schwierigen Frühling sukzessive gesteigert haben. In der Weltmeisterschaft kam der 23-Jährige dank eines starken Sommers bereits bis auf neun Punkte an Hadjar heran.

Liam Lawson – Pro

  • Positive Formkurve
  • Unbekanntes Potenzial

Liam Lawson – Contra

  • Bei Red Bull gescheitert
  • Langsamer als Hadjar

Arvid Lindblad: Der nächste Max Verstappen?

Arvid Anand Olof Lindblad (so sein vollständiger Name) gilt schon seit einigen Jahren als der hellste Stern im Juniorprogramm von Red Bull, dem er seit 2021 angehört – damals saß er noch im Kart. Der 18-Jährige machte die Nachwuchsklassen im Schnelldurchlauf durch. 2022 gab er im frühestmöglichen Alter sein Formeldebüt. In seinem ersten vollen F4-Jahr befand er sich lange im Titelkampf, genauso wie in seiner darauffolgenden ersten Formel-3-Saison. Von da aus ging es direkt in die Formel 2.

Dort kämpft er zwar nicht um den Titel mit, fährt auf P7 liegend aber eine solide Saison. Das Vertrauen von Red Bull in den britisch-schwedischen Doppelstaatsbürger mit indischen Wurzeln scheint ungebrochen zu sein. Wohl auch deshalb, weil nicht erst seit dem letzten Jahr die Aussagekraft der Formel-2-Platzierung zunehmend in Zweifel gezogen wird.

Eigens für ihn machte sich Red Bull bei der FIA stark, um das Mindestalter für Formel-1-Einsätze auf 17 Jahre (mit Ausnahmegenehmigung) zu senken. Unter diesem Regelpassus nahm Lindblad 2025 auch an seinem ersten Freitags-Training teil. Vor allem aber bei seinem zweiten Einsatz in Mexiko beeindruckte er und landete eine Zehntelsekunde vor Tsunoda – wenn auch mit einem anderen Programm.

Lob von Dr. Helmut Marko für diesen “tollen Job” war ihm trotzdem sicher, und zwar nicht nur sportlich: “Technisch [lieferte er] ganz klare Aussagen. Pragmatisch, ohne irgendwo hektisch zu werden. Es war eine Empfehlung.” Ein Aufstieg in die Königsklasse zu den Racing Bulls galt bereits vor Mexiko als wahrscheinlich, jetzt umso mehr.

Arvid Lindblad – Pro

  • Geringes Alter
  • Starke Nachwuchs-Karriere
  • Gute FP1-Leistungen

Ardiv Lindblad – Contra

  • Wenig F1-Erfahrung
  • Kein F2-Titelkandidat

Gibt es einen Überraschungskandidaten?

Im Moment drängt sich abgesehen von diesen Kandidaten kein Fahrer wirklich auf. RB-Teamchef Alan Permane betonte ebenfalls, dass es “vier Fahrer im Red-Bull-Universum” gebe, die in Frage kommen. Aber wenn uns die Vergangenheit eines gelehrt hat, dann dass die Fahrerentscheidungen bei Red Bull immer für eine Überraschung gut sein können. Man denke nur an Nyck de Vries, der vor seinem Williams-Ersatzauftritt 2022 nie wirklich mit einem RB-Team in Verbindung gebracht wurde, und nachher plötzlich innerhalb eines Monats einen Vertrag bei den Racing Bulls in der Tasche hatte.

Mit Red Bull wurde etwa der Ire Alex Dunne in Verbindung gebracht, nachdem er Anfang Oktober überraschend aus dem McLaren-Nachwuchsprogramm ausschied. Gerüchten zufolge kam sein McLaren-Aus, weil sich sein Management mit Entscheidungsträgern der Bullen getroffen habe. Ihn eint mit allen Red-Bull-Junioren außer Lindblad, dass er über keine F1-Superlizenz verfügt, und im Moment auch nicht auf Kurs liegt, 2025 noch ausreichend Punkte dafür zu sammeln. Für eine FP1-Lizenz und damit einhergehend eine Testfahrer-Rolle könnte es aber reichen.

Welche Piloten bei Red Bull sonst noch parat stehen, könnt ihr hier nachlesen: