1. Warum stoppte Oscar Piastri noch einmal?

McLaren hat ein Rennen per Strategie verloren. Leider 2024 keine große Überraschung. Warum nur holte sich Oscar Piastri in Runde 38 ein zweites Mal frische Reifen und überreichte dem einstoppenden Charles Leclerc den Sieg auf dem Silbertablett? Anhand der Rundenzeiten ist die Entscheidung nicht nachzuvollziehen. Leclerc und Piastri fuhren zu dem Zeitpunkt fast gleich schnell.

“Mein linker Vorderreifen hatte schweres Graining, und ich wurde immer langsamer”, verteidigt Piastri später die Entscheidung. McLaren ging sehr früh von einem Zweistopper aus. Lando Norris geriet nach einem Fahrfehler auch in eine heftige Graining-Spirale. Seine Zeiten brachen vor dem zweiten Stopp völlig ein. Zusammen mit Problemen bei Red Bull im ersten Stint fühlte sich McLaren bestätigt und traute sich nicht, Piastris Führung aufs Spiel zu setzen. “Scheint, als war mehr in den Reifen als erwartet”, räumt Teamchef Andrea Stella ein, ist sich trotzdem nicht sicher: “Unser Auto schont die Hinterreifen, aber Graining vorne ist bei uns aggressiver.”

Sensation in Monza! Wie konnte McLaren diesen Sieg verschenken? (09:54 Min.)

2. War diese Strategie wirklich der Plan von Charles Leclerc?

Ja und nein. Auf jeden Fall hatte Ferrari im vormittäglichen Strategiemeeting die Einstopp-Strategie als Ziel ausgegeben. Da war man überrascht, als McLaren schon in Runde 14 die erste Wechsel-Welle lostrat. Indem man mit Leclerc reagierte, schien man sich ungewollt in eine Zweistopp-Strategie zu zwingen. “Aber der Vorteil war so gut, dass uns nach 10 Runden mit dem Hard klar war, dass wir bis zum Ende fahren konnten”, feiert Teamchef Fred Vasseur sensationell geringe Reifenprobleme am SF-24.

3. Wieso klappte es bei Leclerc, trotz besserer Reifen aber nicht bei Carlos Sainz?

Auf dem Papier schien Carlos Sainz noch besser für die Einstopp aufgestellt. Er ließ sich nicht auf die McLaren-Stopps ein, sondern wartete bis zur gesetzten Zielrunde. Aber indem er wartete, verlor er massiv Rennzeit relativ zur direkten Konkurrenz: “Ich glaube, ich habe den Windschatten in Runde 15 verloren, als sie stoppten. Ich konnte richtig spüren, wie langsam ich ohne den war.” Aus 7 Sekunden Rückstand auf Piastri wurden nach dem Stopp 19.

Gleichzeitig war die Pace hintenraus vom Management vorgegeben, nicht vom eigentlichen Verschleiß. Daher konnte Leclerc trotz älterem Reifen gleich schnell fahren. Die 7 Sekunden zeigen aber: Schon am Start verlor Sainz den Anschluss. War er mit der Einstopp im Kopf zu vorsichtig und traute sich nicht eine Pace mitzugehen, die Ferrari schon nach wenigen Runden als höher als erwartet beurteilte? “Vielleicht hat Carlos das etwas mehr antizipiert und etwas weniger gepusht, aber das sagt sich nach dem Rennen immer leicht”, meint Vasseur. “Es ist ihr Gefühl im Auto.”

4. Warum wurde Kevin Magnussen für Baku gesperrt?

Der Zwischenfall mit Pierre Gasly war nur eine kleine Kollision, und nur für sie allein wurde Kevin Magnussen auch nicht gesperrt. In der Formel 1 werden jedoch auch für fahrerische Vergehen Strafpunkte vergeben. Wer innerhalb von einem Kalenderjahr hier zwölf hat – wie jetzt Magnussen, durch die zwei weiteren in Monza – wird automatisch gesperrt. Das System wurde 2014 eingeführt, um Dauersünder einzubremsen. Es ist die erste Formel-1-Sperre, die es auslöst.

5. Wie erklären die Stewards die so harte Magnussen-Strafe?

Dass ausgerechnet ein harmloses gescheitertes Überholmanöver mit kleinem Schubser ohne weitere Folgen so eine schwere Strafe auslöst, die dann obendrauf noch die Sperre nach sich zieht, wird hinterfragt. Nicht nur von Magnussen. Auch Unfallgegner Pierre Gasly war baff. Er bot sogar an, noch einmal zu den Stewards zu gehen und Magnussen zu verteidigen. Was natürlich nichts hilft: Es war eine Tatsachenentscheidung, nicht mehr zurückzunehmen.

Die Stewards berufen sich auf die 2022 eingeführten ‘Racing Standards Guidelines’. Die verlangen für Angriffe auf der Innenbahn: Der Angreifer muss einen signifikanten Teil des Autos neben dem Verteidiger haben. Und er muss die Kontrolle über das Auto haben. Bei Magnussen wurde geurteilt, dass er den ersten, nicht aber den zweiten Teil erfüllt hatte. Er verbremste sich, kam etwas quer. Allerdings lenkte Gasly am Scheitelpunkt auch ein. Über die Entscheidung, gleich 10 Sekunden und 2 Strafpunkte zu vergeben, kann auf jeden Fall debattiert werden.

6. Warum wurde Daniel Ricciardo zweimal bestraft?

Hin zur Ascari-Schikane drängte Daniel Ricciardo schon in der ersten Runde Nico Hülkenberg ab. So weit, so gut, 5 Sekunden Zeitstrafe. Die saß er auch beim ersten Boxenstopp ab. Fast. Denn als er anhielt, griff rechts vorne der für Frontflügel-Anpassungen zuständige Mechaniker bereits hin, um eine kleine Verstellung vorzunehmen. Zwar realisierte er den Fehler fast sofort und zog zurück, doch die Regeln sind (nach Unsicherheiten in der Vergangenheit) inzwischen knallhart: Jede Berührung des Autos während der Strafzeit gilt als “Arbeiten” und ist verboten. Daher 10 weitere Sekunden Strafe.

7. Was sind ‘Papaya Rules’ – und wie steht es um McLaren-Teamorder?

“Papaya-Regeln” war im Rennen von Monza bei McLaren eine geflügelte Phrase. Tatsächlich erklärte die Teamchef Andrea Stella in Grundzügen schon am Samstagabend – in weiser Voraussicht: “Wenn das Auto Papaya ist, dann bist du extra vorsichtig.” Oscar Piastri hatte allerdings nichts zu verschenken, als er sich in der Variante della Roggia außen neben Lando Norris quetschte und McLarens größerer Hoffnung für einen Fahrertitel nicht nur die Führung abknöpfte, sondern auch dafür sorgte, dass Leclerc an ihm vorbeiging.

McLaren-Pilot Oscar Piastri überholt nach dem Start Polesetter und Teamkollege Lando Norris
Norris vs. Piastri wurde am Start hart geführt, Foto: LAT Images

Norris hob nach dem Rennen hervor, dass er sich kulant verhalten hatte müssen. War es zu hart von Piastri? “Wir werden es mit den Fahrern untersuchen müssen, ihre Blickpunkte verstehen, und gemeinsam feststellen, ob sie sich vollends darangehalten haben oder nicht”, räumt Stella nach dem Rennen Unklarheiten ein. Später ergänzt er: McLaren wird auch die Regeln überdenken. Jetzt, wo die Fahrer-WM für Norris nicht mehr so weit weg ist. Bis jetzt beinhalteten die “Papaya-Regeln” nämlich explizit keine Nummer-Eins-Klausel. Freies Fahren war die Maxime.

8. Was war Max Verstappens Problem mit einer schläfrigen Red-Bull-Box?

“Können die Leute im Hintergrund bitte aufwachen? Ich weiß, das ist eine beschissene Position, aber das ist wichtig.” Kurz vor Schluss gab es noch eine heftige Kritik von Max Verstappen an seiner Garage. Worum ging es? Der Ladestatus seines Hybridsystems war ein guter, er konnte in einen schärferen Abgabe-Modus wechseln. Der Fahrer, der nur sein kleines Lenkrad-Display hat, erwartet von seinem Team an Performance-Ingenieuren vor unzähligen Monitoren, dass sie so etwas schnell bemerken und weitergeben. “Das sind offensichtliche Dinge, denen man sich bewusst sein muss”, kritisiert Verstappen nach dem Rennen erneut.

9. Wie schlug sich F1-Debütant Franco Colapinto?

Es war ein recht unscheinbares erstes Wochenende für Franco Colapinto. Auf eine Runde bekam er es am Samstag noch nicht zusammen, und in der Startphase begann er relativ bald den Windschatten des Verfolgerfeldes zu verlieren. Doch je länger das Rennen dauerte, desto besser kam er in den Rhythmus. Williams setzte auf eine Einstopp-Strategie, mit leichtem Reifenvorteil kam er gut fünf Sekunden hinter Daniel Ricciardo zurück auf die Strecke. Dort blieb er bis ins Ziel, konnte so von Ricciardos Strafe profitieren und wurde Zwölfter. Solide Leistung.

10. Wer ersetzt Kevin Magnussen in Baku?

Die abschließende Frage können wir leider noch nicht beantworten. Oliver Bearmans Name machte sofort die Runde. Er ist designierter Ferrari-Ersatz, fuhr auch schon ein Rennen in Saudi-Arabien. Und er wurde natürlich für 2025 bereits als Haas-Vollzeit-Pilot verpflichtet. Aber Bearman ist eben Ferrari-Ersatz. Kundenteam Haas muss abwarten, ob er freigegeben wird. “Lasst mich heute Abend erst mal auf Ferrari fokussieren”, so ein siegtrunkener Fred Vasseur nach dem Rennen. “Dann werden wir Zeit haben, das zu diskutieren.”

Bearman, sonst bloß F2-Fahrer, dürfte eine einfachere Option sein als Haas’ Langzeit-Ersatzfahrer Pietro Fittipaldi, der zuletzt 2020 zweimal Romain Grosjean ersetzte. Fittipaldi hat nämlich einen Vollzeit-Job für RLL in der IndyCar-Serie. Am Baku-Wochenende soll er eigentlich beim Saisonfinale im amerikanischen Nashville antreten. Auch wenn er dort Gesamt-19. ist, es also für ihn nicht wirklich um etwas geht.