Christian Menath
Ressortleiter Formel 1
Schnüffelt gerne am Print-Magazin, gibt mit seiner bestandenen Steward-Prüfung an, hält lange Monologe, war einst gut im Mario Kart – und liebt die F1 bedingungslos.MEHR
1. Warum mussten Hamilton und Ocon aus der Box starten?
Mit Lewis Hamilton und Esteban Ocon mussten gleich zwei Fahrer den Aserbaidschan GP aus der Boxengasse aufnahmen. Beide bekamen eine neue Power Unit eingebaut, wodurch sie ihr Kontingent für die Formel-1-Saison 2024 überschritten. Das alleine würde aber nur eine Strafversetzung ans Ende des Feldes bedeuten. In beiden Fällen wurden die Motoren aber ohne Antrag bei der FIA getauscht. Ein solcher Antrag ist nötig, während sich die Autos im Parc-ferme befinden, weil nur defekte Teile getauscht werden dürfen.
In beiden Fällen waren die Motoren aber nicht kaputt, man wollte nur zusätzliche Motorkomponenten für die restliche Saison in den Pool bringen. Bei Ocon war es ohnehin fast egal, weil er von Startplatz 19 aus ins Rennen gegangen wäre. Hamilton hingegen verlor Startplatz 7. “Wir hätten sonst in Austin eine Strafe nehmen müssen und dort rechnen wir uns bessere Chancen aus”, erklärte Toto Wolff. Außerdem konnte Mercedes so auch noch die Aufhängung umbauen – dort hatte man am Samstagabend noch ein Problem erkannt.
2. Warum verteidigte sich Leclerc nicht gegen Piastri?
In Runde 20 wurde das Rennen entschieden: Oscar Piastri ging in Kurve 1 an Charles Leclerc vorbei. Der Ferrari-Pilot zeigte dabei überraschend wenig Gegenwehr. “Ich dachte, dass ich nur ruhig bleiben und warten muss, bis meine Reifen ins Fenster kommen und dann würde ich ihn wieder überholen können”, erklärte Leclerc. Es sollte eine katastrophale Fehleinschätzung des Monegassen sein. 30 Runden lang biss er sich an Piastri die Zähne aus. “Ich hatte den Topspeed des McLaren unterschätzt”, meint Leclerc. Doch der McLaren war auf der Geraden nicht wirklich schneller. Leclerc kam nicht vorbei, weil Piastri bei jedem Überholversuch die Innenbahn abdeckte und sich so – im Gegensatz zu Leclerc zuvor – bravourös verteidigte.
3. Wie konnte Leclerc 6 Sekunden Vorsprung verlieren?
Das verlorene Duell auf der Strecke ist die eine Sache, Ferrari muss sich aber die Frage gefallen lassen, warum Leclerc vor den Boxenstopps noch 6 Sekunden vor Piastri und der Australier danach direkt hinter ihm lag. Leclerc kam eine Runde später zum Reifenwechsel. Ferrari hatte den Undercut massiv unterschätzt. Auf der Inlap verlor Leclerc extrem viel Zeit, weil Piastri die frischen harten Reifen sofort zum Funktionierten brachte. Auf der Outlap verlor Leclerc weitere Sekunden, weil er die frischen Pirellis zu zarghaft anfuhr.
4. Wie konnte Norris Piastri zum Sieg verhelfen?
Vor dem Wochenende war die angekündigte Stallorder bei McLaren das große Thema. Oscar Piastri muss in Zukunft seinem Teamkollegen Lando Norris im WM-Kampf helfen. In Baku kam es genau andersrum. Weil Norris von Startplatz 15 auf den harten Reifen startete und somit die alternative Strategie fuhr, fand er sich früh im Rennen bei den Spitzenreitern wieder, die allerdings schon gestoppt hatten. Als Erster der Spitzengruppe kam Sergio Perez. Der Red-Bull-Pilot lag zuvor auf Rang drei und wollte einen Undercut gegen Piastri machen.
Weil Perez hinter Norris auf die Strecke kam, bat McLaren den Briten, Perez einzubremsen. Der kam dem Wunsch nach und fuhr im engen Mittelsektor absichtlich langsamer und kostete Perez so wertvolle Zeit. Dadurch kam Piastri nach seinem Stopp wieder vor dem Red Bull raus. “50 Prozent des Sieges von Oscar gehen auf das Konto von Lando”, lobte McLaren-Teamchef Andrea Stella später.
5. Wer war schuld am Unfall zwischen Perez und Sainz?
In Runde 50 kollidierten Sergio Perez und Carlos Sainz im Kampf um Platz drei. Auf der Gegengeraden nach Kurve zwei verhakten sich die beiden und bogen schlagartig nach links in die Mauer ab. Für beide war das Rennen damit beendet, beide sahen die Schuld schließlich beim jeweils anderen. Sainz wäre nach links gezogen monierte Perez, weil er im Windschatten von Leclerc bleiben wollte. Er sei auf der normalen Linie gefahren und Perez hätte links noch genügend Platz gehabt, entgegnete Sainz. Die Stewards sahen bei keinem der beiden eine klare Lenkradbewegung in Richtung des anderen und entschieden deshalb auf Rennunfall.
6. Warum gab es nach dem Crash kein Safety Car?
Der Unfall zwischen Sainz und Perez war heftig: Nicht nur, dass die beiden Autos auf der Strecke in der Mauer steckten, daneben befand sich ein regelrechtes Trümmerfeld an Karbonteilen. Trotzdem schickte die Rennleitung Bernd Mayländer nicht auf die Strecke und auch eine Rote Flagge blieb aus. Die Fahrer beschwerten sich nach dem Rennen unisono darüber, dass es Rennleiter Niels Wittich zunächst bei Doppelt Gelb und anschließend bei einem VSC beließ.
Rot gab es nicht, weil nach Ansicht der Rennleitung nicht die ganze Strecke blockiert war und die Unfallstelle noch sicher passiert werden konnte. Ein Safety Car gab es nicht, weil es ohnehin keinen Restart gegeben hätte. Nur noch zwei Runden waren zu fahren. Hinter dem Safety Car fahren die Piloten zwar deutlich langsamer als unter VSC, doch bis die Piloten das Safety Car eingeholt haben, gilt VSC-Geschwindigkeit. Bis alle Piloten hinter dem Safety Car eingereiht sind, dauert es ohnehin meist zwei Runden.
Trotzdem ist die Kritik an der FIA nicht ganz unberechtigt. An der Unfallstelle wurde zwar sofort Doppelt Gelb gezeigt, bis die Strecke aber unter VSC gestellt wurde, dauert es zu lange. Mehr als eine Minute brauchte es, bis die VSC-Phase ausgerufen wurde.
7. Wie flog Nico Hülkenberg aus den Punkterängen?
Nach einer mäßigen Qualifikation fuhr Nico Hülkenberg ein starkes Rennen und befand sich auf dem Weg zu Platz zehn und einem WM-Punkt. In Runde 48 küsste er in Kurve 15 leicht die Mauer und dachte, einen Reifenschaden zu haben, den er aber gar nicht hatte. In der Hektik des Moments aktivierte er am Lenkrad den In-Button. Bis er den Modus wieder umgestellt hatte, ging Franco Colapinto an ihm vorbei.
Wenig später verlor er zwei weitere Positionen, weil er nach dem Passieren der Unfallstelle von Sainz und Perez nicht schnell genug aufs Gas ging. Hülkenberg ging angesichts des Trümmerfeldes fest davon aus, dass es mindestens ein VSC geben musste – zumal er selbst noch über ein größeres Teil gefahren war. Zu diesem Zeitpunkt gab es aber nur eine Gelb-Phase. Lewis Hamilton und Oliver Bearman reagierten hinter ihm sofort und gingen am Emmericher vorbei.
8. Was hatte es mit den VSC-Untersuchungen nach dem Rennen auf sich?
Mit Max Verstappen, Nico Hülkenberg und den beiden Alpine-Piloten mussten sich nach dem Rennen gleich vier Fahrer vor den Stewards verantworten, weil sie nach Rennende in der Ehrenrunde unter VSC andere Fahrer überholt hatten. Nach dem Unfall befand sich die Strecke auch nach Rennende noch unter VSC, Überholmanöver sind also streng genommen auch dann noch verboten.
Alle vier Piloten kamen mit einer Warnung davon, weil sie langsam zurück an die Box gefahren waren und vor allem nicht an der Gefahrenstelle überholt hatten. Es handelte sich nicht um Überholmanöver im herkömmlichen Sinne, Verstappen zum Beispiel gratulierte beim Vorbeifahren. Glück für die Übeltäter: Sie konnten sich auf ähnliche Fälle aus der Vergangenheit berufen, die gar nicht erst entdeckt wurden. Bei ähnlichen Vergehen in Zukunft drohten die Stewards härtere Konsequenzen an.
9. Warum war Perez so viel schneller als Verstappen?
Vor wenigen Wochen fast schon gefeuert, feiert Sergio Perez derzeit seine Auferstehung. Schon in Monza war der Mexikaner deutlich näher an Max Verstappen dran, auf seiner Parade-Strecke Baku war Perez sogar schneller. Während er um den Sieg kämpfte, taumelte Verstappen auf Rang sieben. Abgesehen von Perez’ Baku-Stärke machte ein missglücktes Setup bei Verstappen den Unterschied. Nach dem 3. Training wollte Verstappen zu viel, fasste das Setup noch einmal an und übertrieb es. Im Rennen verlor Verstappen schließlich noch viel Zeit, weil er seine frischen Reifen im Verkehr nicht nutzen konnte.
10. Warum kostete der Perez-Crash Verstappen 2 Punkte im Titelkampf?
Der Perez-Unfall kostete Red Bull nicht nur wichtige Punkte in der Konstrukteurs-WM, in der man nun 20 Punkte hinter McLaren liegt. Verstappen kostete der Crash gleich zwei Punkte im Titel-Kampf. Nachdem Norris in Runde 49 an ihm vorbeigegangen war, ging der Weltmeister direkt an die Box, um sich frische Reifen für die schnellste Rennrunde zu holen. Die konnte er aber nicht mehr holen, weil der Perez/Sainz-Crash die Strecke für das restliche Rennen unter Gelb und VSC setzte. Dadurch entging Verstappen nicht nur der Extra-Punkt: Gleichzeitig konnte er so den Punkt Titel-Konkurrent Norris nicht entreißen.
11. Warum mussten Tsunoda und Stroll aufgeben?
Neben Carlos Sainz und Sergio Perez gab es noch zwei weitere Ausfälle im Rennen. Yuki Tsunoda und Lance Stroll mussten ihre Boliden in der Boxengasse abstellen. In der Startrunde berührten sich beide leicht. Stroll holte sich dabei einen Reifenschaden, Tsunoda wurde ein Teil des Seitenkasten herausgerissen. Der Japaner verlor dadurch so viel Performance, dass er in Runde 22 aufgab. Stroll hingegen stellte sein Auto erst in Runde 45 ab. Der Grund für die Aufgabe war aber nur teilweise eine Folge der Startkollision. Der Aston-Martin-Pilot hatte mit einem Bremsproblem zu kämpfen. Weil er sich nach dem Reifenschaden zu Beginn in einer ohnehin aussichtlosen Position befand, ging er kein Risiko ein und stellte das Auto ab.
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