Untergangsstimmung hatte am Freitagabend bei Mercedes in Singapur geherrscht. “Es war ohne Zweifel wohl unser schlechtester Freitag in drei Jahren”, blickt George Russell zurück. Was folgte, war eine sensationelle Wende, an deren Ende Russell das Qualifying auf P4, und Lewis Hamilton sogar auf dem dritten Platz beendeten. So monumental war es, dass das Team plötzlich sogar enttäuscht ist.

“Wir waren im völlig falschen Setup-Fenster”, erklärt Russell. Man hatte versucht, auch mit Änderungen im mechanischen Bereich, Problemen mit der Unberechenbarkeit der Reifen an den letzten Wochenenden auf den Grund zu gehen. “Wir haben gestern ein paar Dinge versucht, vielleicht war das nicht der richtige Ort dafür.”

“Ich sah besonders mies aus”, räumt Hamilton ein. “Wir sind mit einem Auto angekommen, das massiv untersteuert hat, und wir bekamen es einfach nicht unter Kontrolle, egal was wir versucht haben.” Nach mäßigen Ergebnissen legten die Ingenieure (und Simulatorfahrer Fred Vesti in der Basis in Brackley) eine lange Nachtschicht ein.

Die Wende kam daraufhin schrittweise. Russell fand mit seinem FP3-Setup den Durchbruch. Plötzlich war er Zweiter hinter dem letztendlichen Polesetter Lando Norris. Bei Hamilton haperte es weiter: “Es war noch immer dasselbe. Ich war geschockt, als ich sah, dass ich noch immer 1,2 Sekunden hinter Lando war.”

Russell in FP3 stark, im Qualifying nicht: Mercedes bleibt verwirrt

Noch einmal wurde bei Hamilton alles umgebaut. “Und es war wie Tag und Nacht. Plötzlich war das Auto lebendig. Ich konnte überall hin, wo ich wollte.” Er flog durch das Qualifying, erst auf P3 hinter Norris und Max Verstappen war Schluss. Eine rote Flagge machte den letzten Versuch in Q3 noch zu einem Ritt auf der Rasierklinge: “Ich hatte viele Rutscher. Mit besserer Arbeit hätte ich vielleicht in der ersten Reihe stehen können.”

Eine wirkliche Erfüllung ist dieses Qualifying aber nicht. Denn eigentlich hatte Mercedes nach Russells FP3-Ausrufezeichen geglaubt, dass es jetzt so richtig abgehen würde. Das untermauert Teamchef Toto Wolff: “Nach den Fortschritten, die wir über Nacht mit dem Auto gemacht haben, und der Pace, die wir dann im dritten freien Training gezeigt haben, sind die Plätze drei und vier etwas enttäuschend.”

Im Qualifying war bei Russell das Gefühl aber wieder weg. Lautstark fluchte er am Funk über das nicht zu treffende Arbeitsfenster der Reifen: “Wir hatten mit dem Grip zu kämpfen, und konnten uns nur mit Mühe durch die einzelnen Segmente bis Q3 kämpfen.” Klare Verhältnisse sind also auch in Singapur keine zu vermelden, was das Setup-Fenster des Autos und seiner Interaktion mit den Reifen angeht. Darüber hatte sich Russell am letzten Wochenende bereits lautstark beschwert:

Singapur-P3 kleiner Befreiungsschlag für Lewis Hamilton

Hamilton, für den in keinem einzigen Training Hoffnung aufgekommen war, ist da deutlich zufriedener. Erst recht, nachdem er 2024 bislang einen äußerst schwierigen Stand im Qualifying-Trimm hat: “Qualifying ist schon lange ein Albtraum.” Es ist erst der dritte Grand Prix, bei dem er es am Samstag unter die Top-3 geschafft hat. 5 zu 13 liegt er intern gegen Russell hinten. Große Setup-Änderungen brachten zuletzt nur allzu oft mehr Schaden als Nutzen mit sich.

Im Rennen sah Hamilton 2024 bislang meist besser aus. Kann er in Singapur vielleicht Norris und Verstappen überrumpeln? “Schwer zu sagen, weil die letzten eineinhalb Tage so ein Albtraum waren. Unsere Longrun-Pace war mittelmäßig. Nicht annähernd an diesen Jungs dran, zumindest am McLaren. Aber jetzt haben wir das Auto in einem ganz anderen Fenster.”

“Also müssen wir für morgen mit einer anderen Balance rechnen”, meint Hamilton. Wenn der Mercedes die Temperaturen der Hinterreifen niedrig halten kann, dann könnte was gehen: “Vielleicht können wir, wenn wir das versuchen, wenigstens an einem dieser Jungs dranbleiben. Das werden wir morgen rausfinden. Aber ich bin zuversichtlich, dass wir das schaffen können.”