Formel-1-Dominator 2023, Unruheherd 2024. So lässt sich die aktuelle Situation bei Red Bull beschreiben. Neben Problemen sportlicher Natur mit irreführenden Updates musste das Weltmeisterteam gerade in diesem Jahr einige personelle Verluste hinnehmen. Adrian Newey, Jonathan Wheatley, Dan Fellows, Rob Marshall und Will Courtenay: Das sind nur einige prominente Namen, die Red Bull in der jüngeren Vergangenheit den Rücken zugekehrt haben.

“Die Summe der Abgänge und vor allem die Prominenz der Namen tut natürlich weh”, gibt Motorsportchef Dr. Helmut Marko im Interview mit Motorsport-Magazin.com zu. “All diese Mitarbeiter waren sehr erfolgreiche, sehr erfahrene Mitarbeiter. Jetzt braucht man schon eine gewisse Zeit, um diese Abgänge wieder entsprechend nachzubesetzen.”

Zeit, die knapp werden könnte: Red Bull befindet sich vor dem letzten Viertel der F1-Saison 2024 mitten im Kampf um beide WM-Titel. In der Teamwertung mussten die Bullen McLaren bereits passieren lassen, die Fahrerwertung führt Max Verstappen derzeit noch mit einem Vorsprung von 52 Punkten an.

Unter all den personellen Abgängen wiegt ein Wechsel besonders schwer, meint der Motorsportberater: “Adrian Newey ist jemand, der in der Formel-1-Welt einmalig, outstanding, ist. Wenn du so jemanden verlierst, dann ist das ein Einschnitt.”

Newey war fast 20 Jahre lang Teil des amtierenden Weltmeisterteams. Vor allem in den ersten Saisons war seine Erfahrung von fundamentaler Bedeutung: “Er war neben Jonathan Wheatley der Einzige, der WM-Erfahrung hatte. [Er wusste], was da alles notwendig ist”, gibt Marko zu verstehen. Dieses Wissen, das sich der Brite in erfolgreichen Jahren bei McLaren und Williams angeeignet hatte, verhalf Red Bull zu sechs Konstrukteurs- und sieben Fahrertiteln.

Newey war maßgeblich an Red Bulls erstem Titelgewinn beteiligt, Foto: Red Bull/GEPA
Newey war maßgeblich an Red Bulls erstem Titelgewinn beteiligt, Foto: Red Bull/GEPA

Neweys Wechsel zu Aston Martin wurde im September bekanntgegeben. In der Rolle des “Managing Technical Partner” wird er ab dem 1. März 2025 für die britische Traditionsmarke tätig sein. Mehr darüber erfahrt ihr hier:

Sind die Abgänge verantwortlich für das Formtief von Red Bull?

Die Lücke, die der 65-Jährige hinterlassen wird, ist zweifelsohne groß. Dr. Helmut Marko ist aber zuversichtlich: “Wir haben sehr viele gute junge Leute und ich bin auch sicher, dass sie diesen Abgang kompensieren werden, aber zu sagen, das hat im Team nichts bewirkt, wäre falsch.”

“Die Leute brauchen eine gewisse Zeit zum Einarbeiten. Vielleicht ist das auch ein Grund, [zusammen] mit dem falschen Abbiegen der Updates, dass wir derzeit kein Siegerauto haben”, räumt der Red Bull Motorsportberater ein.

Ein solches sei aber wichtig, um Max Verstappen künftig im Hause Red Bull zu halten und einen weiteren Personalhammer zu verhindern: Der dreifache Weltmeister hat aktuell noch einen Vertrag bis Ende 2028, Marko weiß aber: “Verträge von solchen Fahrerkalibern haben Ausstiegsklauseln, die in erster Linie auf Performance basieren.”

Gerüchte um einen vorzeitigen Wechsel von Verstappen kursieren bereits seit geraumer Zeit. Neben einem Abgang zu Mercedes wird der Niederländer auch immer wieder mit Aston Martin in Verbindung gebracht. Mehr über diese Spekulationen gibt es hier:

Woran liegt der Personalschwund bei Red Bull?

Die Wechsel seien “in erster Linie auf unsere Erfolge zurückzuführen”, weiß der gebürtige Grazer. “Das ist gerade in der Formel 1 mehr als üblich, dass man von dem Team, das am erfolgreichsten ist, versucht, so viel Leute wie möglich abzuwerben.”

Zwischenzeitlich galt sogar Dr. Helmut Markos Position bei Red Bull als gefährdet. Über seine Beinahe-Suspendierung und über einige andere Themen rund um den Rennstall hat Christian mit ihm in einem Exklusivinterview gesprochen. Hier könnt ihr es euch ansehen:

Red Bull Absturz! Wie konnte das passieren? Dr. Helmut Marko (39:31 Min.)

Der Erfolg des 2004 gegründeten Teams sei aber nicht der einzige Grund für den Personalschwund. Der Tod des Firmengründers Dietrich Mateschitz im Oktober 2022 war ein massiver Einschnitt in der Geschichte von Red Bull und mit enormen Unruhen verbunden: “Mit Mateschitz war eine charismatische Führungspersönlichkeit da. Wenn der wo reingekommen ist, dann ist alles ruhig geworden, dann hat man ehrfürchtig aufgeschaut”, erinnert sich Marko.

“Für die Firma war es schwer, so jemanden zu ersetzen. Dadurch sind in der gesamten Struktur Veränderungen passiert.” Der Grazer vermutet: “Das alles und diese Umstrukturierungen haben sicher dazu [zu den Abgängen, d. Red.] beigetragen.”

Ferner könnten aber auch finanzielle Gesichtspunkte und mangelnde Aufstiegsmöglichkeiten Mitschuld haben: “Wir konnten finanziell nicht das bieten, was andere Teams Mitarbeitern von uns geboten haben. Die sind in ihren finanziellen Vergütungen teilweise verdoppelt worden”, führt Marko näher aus. “Auch die verfügbaren Positionen sind beschränkt. Wenn du irgendwo an der Spitze einen guten Mann hast, kannst du den Job nicht zweiteilen, nur weil jemand nachstrebt.”

Personalexodus hin oder her: Für Dr. Helmut Marko ist die Devise für die nähere Zukunft des Weltmeisterteams klar: “Wir sind uns einig, wir müssen kooperativ zusammenarbeiten, um diese WM noch zu gewinnen und auch in Zukunft wieder ein Siegerauto zu haben.”