Beim Sprint-Qualifying der Formel 1 in China spielte sich das größte Drama einmal wieder nicht auf der Strecke selbst ab. Obwohl das dritte und entscheidende Segment dank eines Regenschauers schon fahrerisch hochdramatisch war. Lando Norris stellte seinen McLaren auf die Sprint-Pole – nur um Sekunden später die vermeintliche Hiobsbotschaft zu erhalten: Track Limits. Die 1:57,940 war ungültig, die Pole bei fast abgelaufener Uhr futsch.

Dann die Überraschung: Die Rennleitung setzte die Runde wieder ein. Plötzlich sprang der McLaren zurück auf den ersten Platz. Ein Replay dokumentierte, wie Norris einmal in der letzten Kurve die weiße Linie mit allen vier Rädern überfuhr und kurz das Kiesbett berührte. Was genau ist hier also passiert, und warum ist die Runde korrekterweise von der Rennleitung als gültig erklärt worden?

Zuerst einmal: Der Verstoß von Norris kam nicht auf seiner Pole-Runde. Er kam auf der Runde davor. Das war live schon im Fernsehen sichtbar, denn vor Norris rutschte auch Max Verstappen dort ins Aus. Beiden Fahrern wurden diese Runden gestrichen. Auf der nächsten Runde legte Norris mit 1:57,940 nach, und war diesmal auch in jeder Kurve innerhalb der Track Limits. Trotzdem wurde auch diese Runde nur Sekunden nach dem Überfahren der Linie gestrichen.

FIA-Regel zur letzten Kurve gilt in China 2024 nicht

Denn die Rennleitung wandte eine Regelung an, die immer wieder einmal an Rennwochenenden zum Einsatz kommt. Auf Strecken, wo man sich durch einen Verstoß in der letzten Kurve sowohl für die aktuelle als auch die darauffolgende Runde einen Vorteil verschaffen kann, werden die aktuelle und auch die darauffolgende Rundenzeit gestrichen. Das gilt beispielsweise in Bahrain, wo die Auslaufzone hinter dem Kerb asphaltiert ist.

Ob diese Regel zur Anwendung kommt, wird vor Beginn des Rennwochenendes in den berühmten “Event-Notizen des Rennleiters” öffentlich kommuniziert. In China steht der relevante Zusatz nicht drin. Durchaus nachvollziehbar – denn 2024 gibt es außen in der letzten Kurve in Shanghai einen neuen Kiesstreifen. Dadurch kann man sich hier keinen Vorteil mehr verschaffen. “Effektiv hat Lando fast drei Zehntel verloren”, rechnet McLaren-Teamchef Andrea Stella auf Sky UK gleich vor.

Lando Norris überfährt in der letzten Kurve von China den Kerb neben dem Kiesbett
Norris im Trockenen in der entscheidenden Kurve in China mit sichtbarem Kiesbett, Foto: LAT Images

Bei Verstappen wurde korrekterweise die zweite Runde auch nicht gestrichen. Bei Norris direkt dahinter aus irgendeinem Grund zuerst nicht. Wenn man sich aber keinen Vorteil verschaffen kann, warum dann überhaupt Runden streichen? Das ist der kompromisslose Ansatz von Rennleiter Niels Wittich. Jede schnelle Runde wird bei einem Übertritt gestrichen, egal ob es auf Asphalt, Gras oder Kies war. Nur der Zusatz “nächste Runde” ist optional.

Allerdings muss hier angemerkt werden: Nicht zum ersten Mal hat die Rennleitung bei den Event-Notizen gepatzt. Im Track-Limit-Absatz werden nämlich die Sessions spezifiziert, in welche die Regeln zur Anwendung kommen. Üblicherweise sind das nur Qualifying und Rennen. Auch in China stehen nur diese beiden drin. Auf die hier zusätzlichen Wettbewerbs-Sessions des Sprint-Qualifyings und des Sprints wurde vergessen.

Norris-Pole mit Regen-Glanzleistung gerettet

Norris kann so oder so am Ende feiern. 1,261 Sekunden war er innerhalb der weißen Linien im verregneten Q3 schneller als Lewis Hamilton, auf Intermediates dominierte er regelrecht: “Im Nassen waren wir überraschend schnell.”

Bei der Rutschpartie hatten einige Fahrer große Probleme damit, Temperatur in den Intermediate zu bekommen, McLaren nicht. Obwohl Norris auf den ersten Runden zu dicht an Carlos Sainz’ Ferrari dran war: “Ich musste mehrmals rausnehmen, daher waren die ersten zwei Runden überhaupt nicht gut.”

Dass Charles Leclerc auf der Outlap vor ihm abflog war ihm vielleicht sogar in mehrerlei Hinsicht daher eine Hilfe: “Das hat mich ein bisschen beruhigt, ich wurde ein bisschen aufgedreht. Aber in diesen Bedingungen musst du pushen und Risiko gehen. Hat sich ausgezahlt, ein perfekter Start ins Wochenende.” Mehr zum Leclerc-Abflug gibt es hier:

Im Trockenen hatte Norris schon im Training mit zwei Sektor-Bestzeiten geglänzt, ehe er seine Runde wegen Verkehr abbrechen musste. “Ich glaube nicht, dass wir besonders im Trockenen die Pace von Red Bull haben”, schränkt er ein. Aber: “Das Auto ist gut in den langen Kurven, wo wir es nicht erwartet haben. Die waren sogar unsere besseren.” Und selbst wenn es morgen im Sprint nicht regnet – Max Verstappen steht nur auf Platz vier. Norris’ erste Verfolger sind Lewis Hamilton und Fernando Alonso.