Seit Jahren bemüht sich die Formel 1 um eine klare, konstante und berechenbare Auslegung der Regeln. Bemühungen, die nach der Final-Farce von Abu Dhabi 2021 noch einmal intensiviert wurden. Die Konsequenzen davon waren in Österreich ein bisschen zu spürbar. Strafen für aggressive Manöver, Track-Limit-Vergehen trotz Kiesbetten, langsam wird es den Fahrern zu viel.

“Ich verstehen meine Strafe vom Samstag noch immer nicht, ehrlich gesagt”, ist etwa Nico Hülkenberg frustriert. Sehr spät auf der Bremse hatte er sich im Sprint an Fernando Alonso vorbei- und den Aston Martin dabei von der Strecke gedrückt. 10 Sekunden, zwei Strafpunkte. Als Lando Norris gute 28 Stunden später ein fast identisches Manöver gegen Max Verstappen versuchte, griff niemand ein.

F1-Fahrer verteidigen Verstappen, Norris klagt: Dumme Strafe! (09:52 Min.)

“Ich denke, die Stewards haben ein paar Mal überreagiert”, meint Hülkenberg. Nach dem harten Duell zwischen Norris und Max Verstappen im Grand Prix geriet das Thema erst recht in den Fokus. Denn im Fahrerlager ist man sich eigentlich einig: Nichts davon war strafwürdig. Weder Verstappens leichtes Bewegen hin zur Anbremszone, noch das Drängeln gegen Norris am Streckenrand, welches letztendlich zu einer Kollision führte.

Neues Formel-1-Regelwerk nicht so erfolgreich wie erhofft?

Ausformulierte Racing-Regeln gibt es in der Formel 1 seit 2022. In einem stets wachsenden Dokument wird etwa spezifiziert, wie weit ein Auto am Scheitelpunkt daneben sein muss, damit ihm Platz zusteht. Es sollte eigentlich dazu da sein, die Subjektivität der stets wechselnden Stewards zu eliminieren.

Basierend auf diesen (vermeintlich) klaren Regeln werden Rennleitung und Stewards seit 2021 nun zu kompromisslosem Durchgreifen angehalten. Keine Ermessensentscheidungen mehr. Diese Direktive führte zugleich auch dazu, dass auch ein Kiesbett-Ausritt oder eine fehlgeschlagene Attacke als Track-Limit-Vergehen gewertet werden können. Obwohl in beiden Fällen der “Täter” sich keinen Vorteil durch das Rausfahren verschaffte. So sein Szenario resultierte in Österreich sogar in einer Fünf-Sekunden-Strafe für Lando Norris.

Überzeugt sind die Fahrer erst recht nach Österreich nicht mehr. “Sie wollten sagen, es sei konstant, und wir nehmen die Auswirkung nicht als Straffaktor, aber das klappt offensichtlich nicht”, meint Alex Albon. “In vielen Fällen sind Dinge streng ausgelegt grenzwertig oder nicht legal. Aber wenn es keine Berührung gibt, dann wird oft nicht darüber gesprochen. Oder es gibt eine Warnung. Keine Strafe.”

In Zeitlupe ist jede Formel-1-Strafe einfach …

Im Gegenzug wird jeder Zwischenfall mit Kontakt komplett zerpflückt. Das droht unnötig komplex und unverhältnismäßig zu werden, für Aktionen, die meist bei weitem keine bösen Absichten beinhalten. “Es ist so schwer, auf den Millimeter perfekt zu sein, wenn es so viele Faktoren gibt, also machen Leute einfach Fehler”, sagt Daniel Ricciardo. “Wenn du es in der Superzeitlupe siehst, dann findest du schnell irgendwas.”

Aber Formel 1 wird nicht in Superzeitlupe gefahren. “Das passiert alles so schnell”, erklärt Nico Hülkenberg. “Du setzt an, der andere reagiert, du reagierst, das passiert innerhalb von Tausendstel. Wir kennen alle die Regeln, sind natürlich alle auf unseren Vorteil bedacht, pushen Limits, gehen in Grauzonen. Aber aktiv denkt man nicht darüber nach. Das passiert einfach.”

Von den besten Rennfahrern der Welt kann nur nicht erwartet werden, dass sie Grauzonen meiden und Luft lassen, wenn es um Grand-Prix-Siege geht. So funktioniert der Sport nicht. “Sonst wirst du nie ein Topfahrer”, spricht Max Verstappen Klartext. So passieren dann eben unglückliche Unfälle, Zwischenfälle wie der von Norris und Verstappen in Österreich.

Es mehrt sich in Silverstone nun unter den Fahrern die Meinung, dass man das restriktive Racing-Handbuch wieder aus dem Fenster werfen solle. “Als ich anfing, war es ganz einfach – ein Teil eines Autos ist neben dir, und du musst eine Autobreite Platz lassen”, sagt Lance Stroll. “Jetzt ist es eine Raketenwissenschaft. Wo ist der Frontflügel relativ zum Rückspiegel. Wenn du außen bist, steht dir nur Platz zu, wenn dein Flügel vor seinem Flügel ist. Es wird extrem kompliziert.”

Formel 1 2024 mit Regeln überfrachtet: Einfach alle weg?

Nicht nur die Racing-Regeln werden frustrierend. Seit über einem Jahr mehren sich etwa die Vorschriften zu Mindest- und Maximal-Rundenzeiten im Qualifying, was das dort prävalente Bummel-Problem nur von einem Ort zum anderen schiebt. “Wir können praktisch nichts machen”, klagt Fernando Alonso. “Es ist wohl überreguliert. Und wir Fahrer, und auch Teams, sind da manchmal frustriert.”

Kevin Magnussen propagiert in Silverstone einen radikalen Schnitt: Alle Regeln weg. “Am Ende des Tages willst du ins Ziel kommen, aufs Auto aufpassen. Das hält die Fahrer davon ab, allzu verrückte Dinge zu tun.” Er zeigt als Beispiel auf Verstappen und Norris, die ihre Aggressivität mit Reifenschäden bezahlten. Und auf Motorsport in den USA, wo dieses Prinzip vorherrscht: “Das erinnert an die Kart-Tage, wo es keine spezifischen Regeln gab. Es hat alles auf natürliche Art funktioniert. Und das Racing war toll.”

“Wir müssen zwischen uns allen eine Lösung finden”, mahnt Fernando Alonso. “Wir dürfen die FIA da nicht allein lassen. Wir müssen etwas vorschlagen, was besser ist als das aktuelle Regelbuch, und das muss im Einvernehmen geschehen.” Alonso ist übrigens hier schon involviert. Er unterstützt öffentlich die Bemühungen des Weltverbandes, einheitliche “Driving Standard Guidelines” zu formulieren. Die sollen für alle Rennserien gelten, und Fahrer und Offizielle an die Hand nehmen.

Alonso untermauert nach Spielberg auch ein Problem mit den Strafpunkten, die für fast jedes Vergehen verteilt werden. Für ihn sind diese Punkte rein für gefährliche Aktionen: “Fehler werden immer passieren. Was ich nicht verstehe, ist, wo die Gefahr sein soll. Da gibt es keine Gefahr. Wir unterminieren den Ansporn, ein Überholmanöver zu versuchen. Denn wenn du einen Fehler machst, bekommst du Strafpunkte.”

Die Lösung von alldem kann noch dauern. Kurzfristig können die Fahrer im freitäglichen Fahrer-Briefing der Rennleitung ihre Beschwerden vorbringen. Einige zittern schon vor einer mehrstündigen Mammut-Sitzung. Aber davon gab es schon viele, erinnert Max Verstappen: “Ich weiß nicht, wie viel geändert werden wird. Mal schauen.”