Seit Kanada, allerspätestens seit Spanien hat Mercedes in der Formel 1 wieder Fuß gefasst. Die Krisenzeit wollen sie hinter sich gelassen haben und prompt wachsen die Ansprüche. P4 für George Russell und P6 für Lewis Hamilton – an den ersten Wochenenden der Formel-1-Saison 2024 wäre das für den Rennstall aus Brackley noch ein gutes Qualifying-Ergebnis gewesen. Doch Teamchef Toto Wolff bezeichnete das Resultat aus der Sprint-Qualifikation zum Österreich GP heute am Mikrofon bei ServusTV als “ernüchterndes Ergebnis”. Was hatte sich Mercedes ausgerechnet?

Bittere Überraschung für Mercedes beim Sprint-Qualifying: Wo fehlten die entscheidenden Zehntel?

“Wir haben gedacht, dass wir ganz vorne mitspielen können. Es stört mich nicht so sehr, dass wir diesen kleinen Tick hinter Piastri sind. Aber dreieinhalb Zehntel Rückstand auf Max sind doch mehr als wir dachten”, gab Wolff gegenüber ServusTV an. Mit seiner Zeit von 1:05.054 fehlte Russell tatsächlich weniger als eine Zehntel auf Oscar Piastri an dritter Position und Hamilton wiederum lag mit seiner 1:05.270er Runde nur eineinhalb Zehntel hinter Carlos Sainz an fünfter Position.

Ebenso überrascht über den großen Rückstand auf Max Verstappen war Russell nach dem Sprint-Qualifying. Denn der weiche Reifen habe sich sehr gut angefühlt und seine Runde sei stark gewesen, lautete die Selbsteinschätzung des Mercedes-Piloten. Nichtsdestotrotz kann er einen Punkt ausmachen, an dem womöglich das letzte Quäntchen verlorengegangen ist: “Wahrscheinlich habe ich es auf meiner Outlap übertrieben. Das hat dem Reifen möglicherweise ein wenig von seinem maximalen Grip genommen.”

Frust und Fehler bei Lewis Hamilton: Schreckliche Runde!

Mit größerem Pessimismus blickt sein Teamkollege Hamilton auf das Sprint-Qualifying. “Ich war mit keiner meiner Runden zufrieden. Das Sprint-Qualifying war insgesamt eine ziemlich chaotische Session”, resümierte er. Schon in SQ1 musste er darum zittern, überhaupt weiter teilnehmen zu können. Denn seine Zeit, die er gleich zu Beginn gesetzt hatte, wurde wegen eines Track-Limit-Verstoßes in Kurve 6 gestrichen. Begeistert war Hamilton von dieser Runde ohnehin selbst nicht. Seinem Renningenieur teilte er über Funk mit: “Schreckliche Runde!” Somit musste Hamilton auf seinem zweiten Versuch nachliefern, um sich für SQ2 zu qualifizieren.

Ein weiterer kleiner Fehler wurde dem siebenmaligen Weltmeister dann in SQ3 zum Verhängnis. Hamilton erwischte nach der langen Bergauffahrt Kurve 3 nicht optimal und geriet am Kurvenausgang weit hinaus. Dieser Punkt kostete ihn allein 0,16 Sekunden auf seinen Teamkollegen, sodass er sich ohne diesen Ausrutscher vermutlich vor Sainz qualifiziert hätte und seine Rundenzeit auf Augenhöhe mit der von Russell gewesen wäre.

Hamiltons Analyse zufolge war die Pole Position allerdings mit oder ohne Fehler nicht erreichbar: “Ich glaube nicht, dass wir die Pace hatten, um die Pole Position für den Sprint in Angriff zu nehmen. Aber wir hatten wahrscheinlich mehr Speed als wir gezeigt haben.” Wolff identifizierte sogleich die Problemstellen des Mercedes W15: Der Highspeed-Bereich und die letzten drei Kurven hinten raus – da seien es 10 km/h Unterschied auf die Spitze.

Mercedes beim Formel-1-Grand-Prix in Österreich chancenlos?

Trotz des Wissens darum, wo die Probleme liegen und die Aussicht auf deren Verbesserung über das Wochenende hinweg sieht der Mercedes-Teamchef Red Bull bei deren Heimspiel klar vorne: “Hier in Österreich ist ihre Paradestrecke. Hier war das Auto immer schnell. Da haben wir, glaube ich, wenig Chance”, sagte er gegenüber ServusTV. Anders sehe es indes gegen McLaren und Ferrari aus: “Das ist so eng zusammen, dass du ganz schnell zwischen P2 und P6 pendeln kannst”, beschrieb der Österreicher die Position seines Teams im Kräfteverhältnis.

Andrew Shovlin, Technischer Direktor bei Mercedes, fügte noch weitere Punkte hinzu, die dafür verantwortlich seien, dass auf den Runden von Russell und Hamilton nicht alles zusammenkam. In SQ3 hatten alle zehn Autos bis zum Ultimum in der Garage gewartet, um die bestmöglichen Streckenbedingungen zu haben. Charles Leclerc verpasste es deshalb sogar, noch rechtzeitig die Ziellinie zu überqueren und konnte nicht einmal mehr eine Rundenzeit setzen. Mercedes hatte sich schließlich erbarmt. Sie sind als Erste auf die Strecke gegangen.

Mercedes-Duo Lewis Hamilton vor George Russell in der Boxengasse
Lewis Hamilton und George Russell wagen in SQ3 als Erste den Weg auf die Strecke, Foto: LAT Images

“Es war wichtig, nicht zu riskieren, die Flagge zu verpassen. Aber das machte es schwierig, die Vorteile der Streckenentwicklung zu nutzen”, meinte Shovlin. “Wir hatten gehofft, etwas besser abzuschneiden, aber unsere Leistung auf der Soft-Mischung war nicht stark genug”, fuhr er weiter fort. Zudem habe sich Hamilton einen Schaden am Unterboden zugezogen, während Russell das Gefühl gehabt habe, zu wenig Grip bei hohen Geschwindigkeiten zu haben. Für Mercedes waren also mehrere Faktoren dafür verantwortlich, dass sie mit dem Sprint-Qualifying unzufrieden sind und nach dem ersten Tag des Formel-1-Wochenendes in Österreich gibt es auf einigen Seiten Nachbesserungsbedarf.

Zufrieden waren sie hingegen mit der Long-Run-Arbeit im einzigen Freien Training des Wochenendes. Shovlin bemerkte: “Auf dem harten Reifen sahen wir in Bezug auf die Wettbewerbsfähigkeit ähnlich aus wie in Barcelona.” Trotz solider Long-Runs sieht Wolff die Reihenfolge für den Sprint am Samstag aber weitgehend einzementiert. Das Hauptaugenmerk müsse daher auf der Qualifikation sowie vor allen Dingen auf dem Rennen am Sonntag liegen – darin sind sich Russell, Hamilton und Wolff einig.

Das bestimmende Thema am Donnerstag war wieder einmal der Transfermarkt für die Saison 2025. Lewis Hamilton ist mit seinem Wechsel zu Ferrari, der Anfang des Jahres bekannt gegeben wurde, nicht ganz unbeteiligt daran, dass so viel ins Rollen kam. Wie es aktuell um Carlos Sainz, Daniel Ricciardo und Pierre Gasly steht, verrät Christian in diesem Video:

Carlos Sainz frustriert: Vertraue niemandem in der Formel 1! (09:48 Min.)