Die Formel 1 kann sich in Monza auf etwas gefasst machen. Auf das vielleicht spektakulärste Qualifying und Rennen der bisherigen Saison 2024. Das zeichnet sich zumindest am Freitagabend in der Trainings-Analyse ab. Eigentlich zeichnete es sich schon im Trainings-Ergebnis mit fünf Autos innerhalb von 0,154 Sekunden ab, doch die Analyse lässt den Favoritenkreis noch weiter wachsen.

Nur drei Tausendstel trennten Lewis Hamilton im 2. Training von Lando Norris. Nur 0,103 Sekunden fehlten Carlos Sainz. Damit sind schon drei Teams auf den ersten drei Plätzen zu finden. Das vierte Team, Red Bull, fehlt im Ergebnis nur aufgrund von einem zeitlich ungünstigen Fahrfehler von Max Verstappen.

Tatsächlich lassen die Push-Runden auf Soft-Reifen mit leeren Tanks kaum ernsthafte Rückschlüsse zu. Hamilton zimmerte erst im zweiten Anlauf auf dem da schon etwas angeschlagenen Reifen die Bestzeit zusammen, indem er sich den Windschatten von Lance Stroll krallte.

Wie immer gilt auf den langen Geraden von Monza: Wer sich perfekt hinter einem anderen Auto einsortiert, kann zwei bis drei Zehntelsekunden abstauben. Doch es ist ein tückisches Spiel, nicht zu nah ranzufahren und dann in Passagen wie den schnellen Lesmo-Rechtskurven zu viel Zeit zu verlieren.

Niemand aus der Spitzengruppe lieferte im 2. Training perfekt ab. Hamilton hatte zwar Windschatten, aber seine Reifen waren alt und er ließ in der ersten Schikane Zeit liegen. Seine Verfolger suchten keinen Windschatten. Oscar Piastri startete stark, streute aber in der Ascari-Schikane einen Fehler ein. Am Ende laufen so die Fäden von Hamilton, Norris, Sainz, Piastri und Charles Leclerc innerhalb von 0,154 Sekunden zusammen. Einen Favoriten auszumachen ist unmöglich.

Red Bull in Monza im Nirgendwo: Die Gründe

Wo ist Red Bull? “Vier Marken sind dabei”, gibt sich Motorsport-Berater Dr. Helmut Marko zuversichtlich, obwohl Max Verstappen und Sergio Perez von den Plätzen 14 und 15 winken. Perez’ Training war durch einem kurzfristigen Getriebewechsel verkorkst. Verstappen verkorkste seines selbst, als er dem RB20 eingangs der Parabolica mehr Haftung abverlangte als der zu geben bereit war und durch die Auslaufzone rutschte.

Im 1. Training war Verstappen noch Schnellster gewesen. Bis zu seinem Fehler war er auf seiner schnellsten Runde allerdings auch kontinuierlich von den Spitzenzeiten abgerissen. Marko winkt ab: Viel davon kam auf den Geraden. “Nicht mit der normalen Motorpower, wie die anderen.”

Trotzdem läuft es nicht vollends glatt bei Red Bull. Auf der Suche nach berechenbarer Balance hatte man bei Perez in FP1 einen alten Unterboden getestet, das für FP2 wieder verworfen. Der neue scheint schneller, aber nach wie vor unberechenbarer, wie Verstappens Fehler auch illustrierte. Als die Strecke in FP2 mehr Grip aufbaute und die Temperatur sank, schien der RB20 schlechter zu werden.

Super-Runde von Oscar Piastri versteckt? Lando Norris warnt

Aus dem McLaren-Lager klingt am Freitag leiser Optimismus durch. Von Lando Norris, aber nicht in Bezug auf die Tatsache, dass er nur drei Tausendstel hinter Hamilton landete: “Das Auto ist schnell, Oscar ist schnell, er hat einen großen Fehler gemacht und wahrscheinlich vier, fünf Zehntel verloren. Er sollte auf Platz eins sein.”

Der bereits angesprochene Piastri-Fehler war tatsächlich ein massiver. Auf seiner ersten FP2-Pushrunde mit Soft wollte er es offensichtlich wissen und strapazierte das Limit mehrmals, ehe er ausgangs Ascari einen massiven Quersteher hinlegte. Dreieinhalb Zehntel war er davor schon vor allen anderen gewesen. Das wäre dann doch eine Ansage.

McLaren-Fahrer Oscar Piastri
Oscar Piastri bremste sich mit einem Fehler ein, Foto: LAT Images

Norris muss noch nachlegen: “Die Strecke hat sich stark verbessert, aber ich konnte nicht die Fortschritte machen, die ich gebraucht hätte.” So lässt sich zumindest argumentieren, dass der gut ausbalancierte McLaren auch auf der ihm weniger liegenden Strecke in Monza vielleicht nicht klarer Favorit, aber doch erster auf der Liste der Pole-Anwärter ist.

Max Verstappen offenbart ein Longrun-Problem – doch ist es eines von Red Bull?

Ein leichter McLaren-Vorteil offenbart sich auch in den aufgrund einer roten Flagge etwas kurz ausgefallenen Longruns. Mit vollen Tanks führen zwar auf Medium-Reifen nominell Perez und George Russell die Tabelle an, aber das kaum relevant. Beide fuhren aufgrund von durchwachsenen Trainings deutlich kürzere Stints. Sechs Runden reichen nicht, um die kritische Phase des Reifens in Monza zu erreichen. Und die ist hier wirklich kritisch.

Auch die Zeiten dahinter sind mit Vorsicht zu genießen. Auf dem Papier trennen Norris, Hamilton, Piastri, Sainz, Verstappen und Leclerc im Rundendurchschnitt nur drei Zehntel. Aber das Rundenbild selbst ist durcheinandergewirbelt. Von einem Schreckgespenst namens Graining. Dieser Effekt, wo sich die Reifenoberfläche abrubbelt und durch einen Körnungseffekt zunehmend uneben und haftungsarm wird, suchte die Formel 1 am Freitag in exzessiver Form heim.

Schuld ist eine komplett neu asphaltierte Rennstrecke. Der neue Asphalt wurde zum einen noch kaum befahren, zum anderen ist er äußerst glatt. “Also ist der mechanische Grip des Reifens nicht sehr hoch”, erklärt Pirelli-Chefingenieur Simone Berra. Dass hier alle mit Low-Downforce-Aeropaketen am Start stehen, verschlimmert das Problem. So waren am Freitag Vorder- und Hinterachse betroffen.

Ein Setup-Albtraum. So kann man schwer gegensteuern. Und es taucht schnell auf. Zwei bis drei Runden zu aggressives Pushen reicht, erst recht wenn man davor aus dem Arbeitsfenster fällt, oder in der verwirbelten Luft eines Vordermannes fährt. Charles Leclerc und Max Verstappen begannen in ihren Longruns am Ende deutlich einzubrechen. Bei Verstappen nahmen die bösen Handling-Tendenzen des RB20 dann sofort zu.

Entscheiden Formel-1-Fahrer statt Setup die Reifenschlacht in Monza?

Wie Monza anzulegen ist, zeigte Lewis Hamilton mit einem insofern sehr guten Longrun, dass er am Ende noch unter 1:25 fahren konnte. Das schaffte sonst niemand. Er schon, weil er den Reifen zu Stint-Beginn sehr vorsichtig anfuhr. Damit zögert man nicht nur das Graining, sondern auch den damit gepaarten thermalen Verschleiß hinaus. Dieser ist durch die Umstände bedingt deutlich stärker als im Vorjahr.

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Praktisch alle Teams sparten sich aus Angst am Freitag zwei Sätze Hard-Reifen pro Fahrer für das Rennen. Pirelli glaubt dennoch nicht an eine Zweistopp-Strategie. In Monza verliert man 24 bis 26 Sekunden beim Boxenstopp, und wegen der kleinen Heckflügel ist der DRS-Effekt schwach. Also schleppt man sich lieber mit extremem Reifenmanagement um den Kurs.

Außerdem sollte sich die Lage bis zum Sonntag verbessern, da jeden Tag mehr Gummiabrieb und damit mehr Grip auf die Strecke gefahren wird. Bei einer Einstopp dürfte das Qualifying dann bereits eine Vorentscheidung für das Rennen bringen.