2024 feiert das Strafpunkt-System sein zehnjähriges Jubiläum. Das könnte es mit der ersten durch sich verursachten Rennsperre in der Formel 1 tun. Denn Kevin Magnussen hat als fünfter Fahrer in der Geschichte des Systems den zweistelligen Bereich, genauer gesagt 10 Punkte, erreicht. Damit braucht er nur mehr 2 weitere für die automatische Sperre. Ein guter Anlass, um zurückzublicken: Wie knapp waren die vier Vorgänger (inklusive Lewis Hamilton) an der Sperre dran?

Wie das Strafpunkt-System läuft – und warum 10 Punkte gefährlich sind

Zur Erinnerung: Das System ist ganz einfach. Für gewisse Vergehen können zusätzlich zu regulären Strafen einer oder mehrere Punkte vergeben werden. Diese bleiben für 12 Monate auf einem Konto gespeichert, dann verfallen sie. Wer auf diesem Konto 12 Punkte erreichen sollte, der wird automatisch für das nächste Rennwochenende gesperrt.

F1 Rennsperre für Magnussen? Danner: Das wäre unangebracht! (11:07 Min.)

10 Punkte sind quasi ein Meilenstein auf dem Weg zur Sperre. Denn für die meisten Kollisionen gibt es bereits 2 Punkte, ebenso für viele Szenarien wie das Missachten von gelben Flaggen. Solche Vergehen sind alles andere als selten. Und tatsächlich hatte keiner einen so langen Weg zum ersten Verfall wie Magnussen.

Daniil Kvyat entgeht 2017 Rennsperre um einen Monat

Der Sturz von Daniil Kvyat und das effektive Ende seiner Formel-1-Karriere infolge der Jahre 2016 und 2017 hatte alles. Heute erinnert man sich vor allem an die Startunfälle mit Sebastian Vettel und an die Degradierung, um Max Verstappen den Weg freizumachen. Doch Kvyats Absturz ging weit darüber hinaus. Innerhalb von 22 Rennen sammelte er zwischen Singapur 2016 und Ungarn 2017 10 Strafpunkte (und gleichzeitig nur 6 “echte” Zähler).

Und Kvyats Punktekonto bekam er überwiegend mit fahrerischen Vergehen voll. Zwei Kollisionen, einmal beim Überholen abgekürzt, einmal gefährlich zurück auf die Strecke gefahren. Eher ungewöhnlich die zwei Punkte für Kanada: Dort blieb er auf der Formationsrunde stehen, eilte dann dem Feld hinterher und nahm seine ursprüngliche Startposition wieder ein. Nur zu spät. Das brachte ihm zwei Strafpunkte und eine 10-sekündige Stop-und-Go ein, welche die Rennleitung fälschlicherweise erst als Durchfahrtsstrafe benannte und erst nach Absitzen korrigierte. Es gab keine Kulanz: Kvyat musste auch die Stop-und-Go danach absitzen.

In Österreich schoss Kvyat 2017 Verstappen und Alonso ab, Foto: Sutton
In Österreich schoss Kvyat 2017 Verstappen und Alonso ab, Foto: Sutton

Glücklicherweise waren zwei Punkte am 29. Mai verfallen. Einen Monat später, und es wäre vorbei gewesen: Er stand in Ungarn Lance Stroll im Qualifying im Weg und kassierte einen weiteren Punkt, damit war er bei 10 angelangt. Dann setzte die Vernunft ein. Für den Rest des Jahres 2017 bekam er nur eine Motorstrafe. Übrigens: Im Laufe seines zweijährigen Comebacks 2019 und 2020 sammelte er auch insgesamt 9 Strafpunkte.

Rennen Zwischenfall Punkte Strafe
USA 2016 Kollision mit PER 2 10 Sekunden
Mexiko 2016 Position abseits der Strecke gewonnen 1 5 Sekunden
Kanada 2017 Inkorrekt nach SC1-Linie überholt 2 10 Sekunden Stop-und-Go
Österreich 2017 Kollision mit ALO/VER 2 Durchfahrtsstrafe
Großbritannien 2017 Gefährlich zurück auf die Strecke 2 Durchfahrtsstrafe
Ungarn 2017 STR behindert 1 3 Startplätze

Strafpunkt-Inspiration Romain Grosjean scheitert an Sperre

Romain Grosjean ist ein besonderer Fall. Seine von Zwischenfällen durchzogene Saison 2012 erreichte damals in Spa einen dramatischen Höhepunkt, als er sich beim Start völlig verschätzte und einen Massencrash auslöste, dem unter anderem zwei WM-Aspiranten zum Opfer fielen. Dafür wurde Grosjean damals gesperrt – aber nicht unter dem Punktesystem. Das wurde erst 2014 eingeführt. Grosjeans 2012er-Saison gilt als direkte Inspiration für das Konzept.

Das Image des Chaos-Piloten wurde Grosjean danach nie los, und einmal kam er der Sperre noch einmal gefährlich nahe. Es begann mit Abkürzen und einer Kollision 2017, und eigentlich sieht die Grosjean-Kartei des Jahres 2018 dann aus wie das Musterbeispiel für die Existenz der Strafpunkte. Zwei Startunfälle, ein Missachten blauer Flaggen. Schließlich noch ein Crash mit Charles Leclerc, der ihn auf 10 Punkte hob.

Grosjean löste 2018 in Spanien einen Start-Crash aus, Foto: LAT Images
Grosjean löste 2018 in Spanien einen Start-Crash aus, Foto: LAT Images

Bei letzterem zeigten sich die Stewards schon nachsichtig. Nur ein Punkt für einen Unfall? Die Kollision sei trotz Vorsicht passiert, hieß es im Urteil. So hatte Grosjean wenigstens noch zwei Punkte Puffer, und er musste auch nur ein Rennen wirklich zittern. Dann verfiel bereits der erste Punkt aus dem Vorjahr. 2019 wusste er sich daraufhin zu benehmen, kassierte nur zweimal einen Punkt.

Rennen Zwischenfall Punkte Strafe
Mexiko 2017 Abgekürzt 1 5 Sekunden
Brasilien 2017 Kollision mit OCO 2 10 Sekunden
Spanien 2018 Startunfall 2 3 Startplätze
Frankreich 2018 Startunfall 2 5 Sekunden
Singapur 2018 Blaue Flaggen 2 5 Sekunden
USA 2018 Kollision mit LEC 1 3 Startplätze

Verfahrensopfer Lewis Hamilton? In Gefahr für nur vier Stunden

Das Gegenteil zu Grosjeans 17/18er-Serie lieferte 2020 Lewis Hamilton. Eigentlich ein sauberer Fahrer, drehte er innerhalb weniger Rennen 2019 und 2020 zweimal Alex Albon um und sammelte so vier Punkte. So weit, so gut, passiert. Darüber hinaus wurde es schwieriger. 2 Punkte kassierte er in Österreich 2020 für einen Gelb-Verstoß, erst nachdem Red Bull neue Beweise einbrachte.

Dann gab es da Monza, wo er das Einfahrt-Verboten-Signal der Boxengasse im Rennen übersah. 2 Punkte gab es dafür. Und schließlich Sotschi: Zweimal absolvierte Hamilton am Boxenausgang einen Probestart – was auf dieser Strecke nicht erlaubt war. Zwei Mal einen Punkt, damit war er bei 10 angelangt.

Frustriert marschierte Mercedes zu den Stewards, und erreichte am Abend die Rücknahme der Strafpunkte. Grund: Hamilton hatte die Probestarts auf Teamanweisung absolviert. Statt Punkten gab es schließlich eine 25.000-Euro-Strafe für das Team. Die Gefahr einer Sperre hatte so (wenn überhaupt) nur für einen Grand Prix, genauer gesagt für 5 Stunden und 36 Minuten bestanden.

Rennen Zwischenfall Punkte Strafe
Brasilien 2019 Kollision mit ALB 2 5 Sekunden
Österreich 2020 zu schnell unter Gelb 2 3 Startplätze
Österreich 2020 Kollision mit ALB 2 5 Sekunden
Italien 2020 in geschlossene Box gefahren 2 10 Sekunden Stop-Go
Russland 2020 irregulärer Probestart (1 / 0) 5 Sekunden
Russland 2020 irregulärer Probestart (1 / 0) 5 Sekunden

Pierre Gasly vom Team vor der Sperre gerettet?

Wohl nur ein Zu-Kreuze-Kriechen des Teamchefs von einer Sperre entfernt war 2023 Pierre Gasly. Geschuldet war das einer Saison 2022, in der er (ähnlich wie Hamilton vor ihm) nicht unbedingt nur durch unsauberes Fahren in Schwierigkeiten geriet. Natürlich waren zwei Kollisionen dabei, und einmal fuhr er zu schnell unter Rot – aber zwei andere Themen waren diskussionswürdig.

Einmal ein Punkt für zu viele Track-Limit-Übertretungen in Österreich. Nur wenige Rennen später wurde die Praxis beendet, Punkte für Track Limits zu vergeben. Zu spät für Gasly. Und dann der USA-GP, wo er gleich zwei Punkte für einen zu großen Abstand zum Safety Car bekam. Das alles sorgte für einen ungemütlichen Saisonstart 2023 – der in Australien dann zu einem Desaster auszuarten schien. Als Gasly beim späten Restart aufs Gras kam, unsicher auf die Strecke zurückkehrte, und dabei seinen Teamkollegen Esteban Ocon abschoss.

Das Alpine-Desaster von Australien hätte noch schlimmer sein können, Foto: LAT Images
Das Alpine-Desaster von Australien hätte noch schlimmer sein können, Foto: LAT Images

Beide Fahrer mussten zu den Stewards – und beide bezeichneten den Unfall als Rennunfall. Ein mehr als glücklicher Ausgang für Gasly. Ein Unfallgegner außerhalb des eigenen Teams hätte wohl kaum so kulant reagiert. Es gab nicht einmal eine Strafe. Zwei Blockaden von Konkurrenten in Spanien blieben ebenfalls ohne Punkte, kosteten nur Startplätze. Seither beging Gasly kein einziges Strafpunkt-relevantes Vergehen mehr.

Rennen Zwischenfall Punkte Strafe
Spanien 2022 Kollision mit STR 2 5 Sekunden
Österreich 2022 Kollision mit VET 2 5 Sekunden
Österreich 2022 Track Limits 1 5 Sekunden
Japan 2022 zu schnell unter Rot 2 Durchfahrtsstrafe
USA 2022 über 10 Autolängern unter Safety Car 2 5 Sekunden
Mexiko Strecke verlassen, Vorteil verschafft 1 5 Sekunden

Kevin Magnussen mit Speedrun zur Rennsperre?

Wirklich brenzlig wird es jetzt für Kevin Magnussen. Denn er hat seine 10 Punkte im Rekordtempo innerhalb von fünf Wochenenden gesammelt. Bis der erste verfällt, muss er bis 2025 warten. Drei Unfälle, für einen davon gab es wegen erschwerender Umstände gleich 3 Punkte, und dann noch Miami, wo er mit absichtlichem Abkürzen zur Verteidigung der Position ebenfalls mit erschwerenden Umständen und 3 Punkten belegt wurde. Gut für Magnussen: Zwar ist er als Rowdy verschrien, holte seit seinem Comeback 2022 aber nur drei Punkte. 2023 blieb er punktelos.

Rennen Zwischenfall Punkte Strafe
Saudi-Arabien 2024 Kollision mit ALB 3 10 Sekunden
China 2024 Kollision mit TSU 2 10 Sekunden
Miami 2024 Strecke verlassen, Vorteil verschafft 3 10 Sekunden
Miami 2024 Kollision mit SAR 2 10 Sekunden

Strafpunkte sorgen für vier Sperren in der Formel 2

Die Formel 1 mag es bis jetzt ohne Sperren geschafft haben, aber in der Formel 2 mit ihrem – um es höflich auszudrücken – deutlich breiter gestreutem Talentpool gab es bereits vier Sperren. Unvergessen der 2019 hoffnungslos unterlegene Mahaveer Raghunathan. Der schaffte es damals nicht einmal in die Sommerpause. In Bahrain missachtete er die Zielflagge, in Baku eine Aufforderung zum Wiegen im Training, überholte beim Rennstart zu früh, ehe er schließlich mit drei Verstößen gegen das Virtuelle Safety Car in Frankreich sich die letzten nötigen Punkte zur Sperre abholte.

Nachdem er das Österreich-Wochenende aussaß, machte Raghunathan übrigens munter weiter. Im Training von Abu Dhabi finalisierte er die zweite Sperre – die er nie antreten konnte, weil danach die Saison vorbei war. Er sorgte für eine F2-Regeländerung: Erreicht jetzt ein Fahrer bereits im Training oder Qualifying die 12, wird er direkt für beide Rennen des laufenden Wochenendes gesperrt.

In Raghunathans Fußstapfen trat 2022 Amaury Cordeel. 40 km/h zu schnell in der Boxengasse, sechs Track-Limit-Vergehen in einem Rennen, eine Formationsrunde auf dem falschen Platz und als besonderes Lowlight gleich 4 Punkte für zu schnelles Fahren unter roter Flagge. Mit einer Kollision in Baku besiegelte er seine Sperre.

Zufällig sollte ausgerechnet Cordeels Unfallopfer Olli Caldwell ein paar Rennen später die vierte Strafpunkt-Sperre kassieren. Caldwell hatte beim Saisonstart gleich mit 7 Punkten für Track-Limits- und Grid-Vergehen aufhorchen lassen, ergänzte das in den Wochen darauf um weitere Track Limits, gefährliches Fahren in der Boxengasse und Behindern eines Konkurrenten.