Seitdem das Formel-1-Team aus Brackley mit Beginn der Ground-Effect-Ära 2022 abgestürzt ist, wurde die Mercedes-Wiederauferstehung in den beiden Vorsaisons nach beinahe jedem guten Einzelergebnis aufs Neue heraufbeschworen. Nun ist es wieder soweit. Beim Großen Preis von Kanada sicherte sich George Russell die Pole Position und eine Podiumsplatzierung. Für ein paar Minuten träumte man bei Mercedes sogar vom Sieg, gestand Teamchef Toto Wolff. Nach dem besten Team-Resultat der Saison 2024 steht – pünktlich zum Spanien GP – also die Frage im Raum: Ist Mercedes endlich auferstanden?

Ab 2026 wird mit dem Inkrafttreten des neuen Reglements wieder eine neue Ära von F1-Autos eingeläutet. Warum Christian Horner Änderungen auf Motorenseite fordert und Toto Wolff seinem Rivalen widerspricht, seht ihr in diesem Video:

Red Bull fordert Motoren mit weniger Elektro! Wolff lehnt ab! (12:39 Min.)

Barcelona steht vor der Tür: Geht die Mercedes-Achterbahnfahrt in eine neue Runde?

Mit Beteuerungen des endgültigen Durchbruchs hält sich das Team selbst nicht zurück. Oftmals wird schon nach einer guten Trainingssitzung am Freitag das beste Auto seit langem gefeiert oder infolge eines Top-3-Ergebnisses gar die Trendwende ausgerufen, nur um diese gleich am darauffolgenden Wochenende revidieren zu müssen. Vor allem rund um Barcelona scheint sich die Top-Performance von Mercedes sowie die darauffolgende Selbsternennung zum Durchstarter jährlich zu wiederholen. 2022 erreichten sie auf dem Circuit de Barcelona-Catalunya Platz 3 und 5, 2023 gelang Lewis Hamilton und George Russell sogar ein Doppelpodium – das beste Teamergebnis in der vergangenen F1-Saison.

Doch auch als Mercedes gegen Ende der Saison 2022 im Entwicklungsrennen aufschloss, in Austin, Mexiko und Brasilien Podestplätze erreichte und mit Russell sogar einen Sieg einfuhr, folgte Anfang 2023 statt des Durchbruchs erneut der Einbruch. Lediglich ein paar Glanzpunkte konnten die Mercedes-Piloten 2023 setzen – und zwar auf ebenjenen Paradestrecken wie Barcelona, Montreal, Silverstone und Mexiko, auf denen sie auch im Vorjahr gut abgeschnitten hatten.

Was sollte nach dem besten Mercedes-Ergebnis der Formel-1-Saison 2024 (P3 und P4 beim Kanada GP) künftig anders sein, sodass das Performance-Hoch kein streckenspezifisches Strohfeuer bleibt? Denn 2024 legte das Team trotz neuer Design-Philosophie einen desolaten Saisonstart hin. Dem Auto war einmal mehr eine Unberechenbarkeit, ein enges Betriebsfenster und eine fehlende Balance in den Kurven zu eigen. Mit einer Reihe von Upgrades, die über die letzten drei Rennwochenenden hinweg kontinuierlich vorgenommen wurden, will Mercedes diese Probleme nun bewältigt haben.

Wolff: Fehlendes Puzzleteil gefunden – Auto jetzt perfekt?

Für James Allison, den Technischen Direktor bei Mercedes, ist das erste wettbewerbsfähige Wochenende 2024 in Montreal ein Fingerzeig für die Verbesserungen, die noch anstehen. Nicht nur der neue Frontflügel entspreche den Erwartungen, indem er das Auto einfacher zu fahren mache und zu einer guten Fahrzeugbalance verhelfe, sondern auch das enge Betriebsfenster konnte erheblich ausgeweitet werden, so Allison.

“Seit Imola haben wir die richtigen Schritte gemacht, Teile ans Auto gebracht, die funktionieren. Das war etwas, womit wir in den vergangenen Jahren gehadert haben. Jetzt aber fügen wir jedes Wochenende mehr Performance hinzu”, hob Wolff die jüngsten Fortschritte hervor. Die neue Frontflügel-Spezifikation sei dabei nur ein kleiner, sichtbarer Teil der Upgrades, dem die verbesserte Performance nicht allein zuzuschreiben sei. “In Wahrheit haben wir über die letzten drei Rennen so viele neue Teile – sichtbare und unsichtbare – gebracht, die Millisekunden zur verbesserten Performance beigetragen haben. Diese marginalen Gewinne haben einen positiven Effekt. Ich glaube, dass der Stein jetzt wirklich ins Rollen gekommen ist”, äußert der Teamchef voller Zuversicht.

Der neue (links) und alte (rechts) Mercedes-Frontflügel in Monaco
Das auffälligste Element am Mercedes-Update: Das völlig neue Frontflügel-Design, Foto: LAT Images / Motorsport-Magazin.com

Lewis Hamilton sieht ebenso bereits den Erfolg dieser Arbeit: “Die größte Verbesserung, die wir in diesem Jahr vorgenommen haben, betrifft die Fahrqualität und die Möglichkeit, das Auto tiefer abzustimmen. Das Auto ist viel berechenbarer als je zuvor. Es ist in diesem Jahr auch viel stabiler, sodass wir mit mehr Einsatz in die Kurven gehen können.” Einziges Manko am W15 sei Hamilton zufolge noch die Balance in den Kurven. “Daran versuchen wir also zu arbeiten.”

“In der Formel 1 gibt es kein Patentrezept und deshalb war es eine ständige Arbeit, zu verstehen, wo die Fehler lagen. Wir mussten uns wirklich durch unsere Probleme hindurcharbeiten”, macht Toto Wolff die Bedeutung der permanenten Entwicklungsarbeit klar. Nach Wochen und Monaten des Rätselratens zahlte sie sich nämlich aus: “Die Daten aus dem Windkanal korrelierten nicht mit den Daten auf der Strecke. Das Auto war schwierig zu fahren, das Fahrverhalten war nicht gut, das Bouncing oder Bottoming kam zurück. Und dann hatten wir einen klaren Hinweis darauf, was uns im Puzzle noch fehlte. Wir fügten das Teil ein und ich denke, jetzt ist es gut.”

Mercedes-Entwicklung nimmt Top-Platzierung ins Visier

Greift Mercedes jetzt, wo das Puzzle gelöst zu sein scheint, also wieder regelmäßig auf allen Strecken ganz vorne an? Vorsichtig optimistisch hält James Allison den Ball noch flach: “Die Änderungen, die wir vorgenommen haben, machen das Auto definitiv zu einem besseren Auto. Das gilt für jede Rennstrecke, an die wir gehen. Die Besonderheiten von Montreal haben es vielleicht ein bisschen schneller aussehen lassen als es uns bei den kommenden Rennen vergönnt ist. Es ist wahrscheinlicher, dass wir konkurrenzfähig sein werden, aber nicht an der Spitze.”

Nichtsdestotrotz ist er überzeugt vom Mercedes-Entwicklungsplan für den weiteren Saisonverlauf und nimmt die Spitze der Formel 1 ins Visier: “Wir planen, das Auto weiter zu verbessern. Wir müssen sicherstellen, dass diese Upgrades auch wirklich in einem Tempo erfolgen, das die anderen nicht mitgehen können. Indem wir das tun, bringen wir unser Auto an die Spitze. Jeder hier im Team wird in den kommenden Wochen und Monaten daran arbeiten, das Auto so weit zu bringen, dass es auf jeder Strecke, auf der wir in Zukunft antreten werden, seine Montreal-Wochenenden oder noch bessere haben kann.”

Pünktlich zum Spanien GP ist Mercedes im Aufschwung - 2023 holte Mercedes hier mit einem Doppelpodium das beste Saisonergebnis, Foto: LAT Images
Pünktlich zum Spanien GP ist Mercedes im Aufschwung – 2023 holte Mercedes hier mit einem Doppelpodium das beste Saisonergebnis, Foto: LAT Images

Das nächste Rennen auf dem Circuit de Barcelona-Catalunya mit variantenreichen Kurven und höherer Streckentemperatur betrachtet James Allison als Härtetest für den Mercedes W15. Jene Strecke, die den Teams bestens bekannt ist und die verschiedene Fahrzeugeigenschaften testet, wird der wahre Gradmesser für die Entwicklung des Mercedes-Boliden sein. In Spanien wird das Team aus Brackley erneut Updates ans Auto bringen, wie Toto Wolff ankündigte. Er erwartet damit einen weiteren Schritt nach vorne.

Hat George Russell das Zeug zum Mercedes-Teamleader oder macht er noch zu viele Fehler? Unsere Diskussion in diesem Video:

Verdient Russell das Nr. 1 Cockpit bei Mercedes? (16:19 Min.)